30. März 2007

Al Capones Kinder

 

Inzestuöse Jugendbanden wie auf dem Dorf, nur in Chicago. Das Buch schnattert so, dass man vergisst, was sie alle sagen wollten. Der Autor Adam Langer wurde 1967 in Chicago geboren. Er ist Journalist, Bühnenautor und Filmemacher. Mit „Die windige Stadt“ erscheint sein zweiter Roman in deutscher Übersetzung. Und der liest sich ganz schnell und heiter, ein Familienroman, ein Adoleszenzstück ohne Dramen, wohl aber mit vielen verpassten Gelegenheiten. Nur manchmal ist der Fortgang der Geschichte zu unrealistisch, und die Protagonisten sind ein wenig zu selbstsicher und sympathisch, um glaubhaft überhaupt noch irgendeiner Entwicklung zu bedürfen.

 

Es sind Schüler, involviert in ein höchst ambitioniertes Schulzeitungsprojekt, dem „Lane Leader“, sie nennen sich bei Namen berühmter Journalisten und steigern sich in die Arbeit hinein, wie das nur Jugendliche können – ein Effekt, der bekanntlich daraus resultiert, dass man schon denken kann, aber noch nicht lohnarbeiten muss. Dazu gehören auch traumwandlerische Jungmänner mit pysikalischem Verständnis und Interesse am Filmemachen sowie eine gute Gruppe Rowdys, die regelmäßig zu Schlägereien einlädt, der übliche psychosoziale Exzess Jugendlicher eben, die Darstellung von Pubertierenden als jederzeit coole Spezies. Gewöhnlich haben Menschen diesbezüglich und besonders zu der speziellen Zeit eher gemischte Gefühle, aber sei’s drum. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass diese höchst unterschiedlichen Familien, Rovner, Wasserstrom und Will, wohnhaft im Stadtteil West Rogers Park, dem jüdischen Viertel von Chicago, ganz besonders cool sind ...

 

Ja, die Eltern kommen natürlich auch vor, die Erzählperspektiven wechseln überhaupt zwanglos und flüssig, das Buch spielt in den 80er Jahren, daraus ergeben sich Verhaltensweisen, die sich in Amerika oder sonst wo, mittlerweile also nach Aidsparanoia, anders darstellen. Das sogenannte Daten, eine für Europäer höchst merkwürdige amerikanische Methode, sich mit einem Mädchen zu verabreden, gibt es aber noch. Und eben schon lange. Daten geht so: Man ruft bei den Eltern an und lädt das Mädchen zu irgendeinem Schnellrestaurant ein. Wenn der Termin steht, ist es sakrosankt, an diesem Termin etwas zu ändern, oder noch abwegiger, eine andere Verabredung mit einem anderen stattdessen zu treffen. Dass am Ende doch alle auf derselben Straße herumlungern, ist allen egal – Hauptsache, man hat sich korrekt gedatet. Passieren tut dabei nichts, es ist eine keimfreie Zuneigungsbekundung, die nichts zu tun hat mit dem, was die jungen Leute eigentlich die ganze Zeit beschäftigt. Nämlich darum zu konkurrieren, wer länger „geparkt“ bleibt, also wer länger in einem parkenden Wagen mit einem anderen rumfummeln kann. Natürlich wollen alle ficken. Obschon man nicht genau weiß mit wem und ob man nicht vielleicht sogar homosexuell ist. Jill und Muley sind jedenfalls ein reizendes platonisches Liebespaar.

 

Es geht um alles und nichts, es ist Amerika, Ronald Reagan waltet seines größenwahnsinnigen Amtes, eine Familie versucht, sich an einem korrekt vollzogenen Sederabend, und sie sind ein wenig aus der Übung. Dem Roman ist übrigens ein ausführliches Glossar vor allem zu jüdischen Begriffen angehängt. Thanksgiving ist auch so eine Sache, und ewig strömen die Hormone. Das Buch von Adam Langer erinnert in seinen diversen Personen-Strängen an Ang Lees Film „Der Eissturm“, entbehrt aber dessen verzweifelter Hoffnungslosigkeit und verstörenden Potenzials, das Buch ist sorglos im Erzählen wie im Plot. Sprache wird an keiner Stelle verkunstet, sondern plaudert rasch und immer weiter fort, zurückschauen gibt es nicht. Die Jugendlichen verstreuen in alle Winde und finden am Ende wieder zusammen in Chicago, der Stadt, die für ihre Mafiabosse bekannt ist, in diesem Buch aber gar nicht mafiös, sondern familiär und irgendwie dörflich erscheint.

 

Gustav Mechlenburg

 

Adam Langer: Die Windige Stadt, Roman, Deutsch von: Osterwald, Grete, Deutsche Erstausgabe, 482 Seiten, € 24,90, Rowohlt 2007

 

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