30. März 2007

Klamauk

 

Görlitz ist recht beschaulich. Die Linden blühen, der Sommer ist da, und seit einiger Zeit haben zwei Ärzte aus Westdeutschland eine Gemeinschaftspraxis in der Stadt. Sie sind schon nach kürzester Zeit beliebt. Vor allem Herr Weiss ist sehr erfolgreich in seinen Behandlungen, er ist zwar nur Allgemeinmediziner, betreibt aber offensichtlich eine Art Jungbrunnen. Die Fitnessstudios brummen und haben sehr viele betagte Kunden, die nun gar nicht mehr hinfällig sind. Herr Schwartz ist ganz durchschnittlich begabt, aber dafür geschmackvoller und weniger keck. Er trinkt teuren Rotwein und kauft Designklassiker. Er ist darum bemüht, seinem smarten Kollegen einen Sinn für Luxus zu vermitteln, aber umsonst, der läuft immer nur mit einem riesigen Rucksack herum, trägt zwar tadellos gebügelte Hemden, ist sonst aber völlig desinteressiert, wenn es um die Art, sich zu geben, oder im Spezielleren um aromaschonende Kaffeemahlmaschinen geht. Die beiden Männer mögen sich trotzdem.

 

Angela ist ihre Hausmeisterin. Als arbeitslose Physikerin beschäftigt sie sich als letztes leidenschaftliches Souvenir ihrer wissenschaftlichen Laufbahn mit einem Elektroschockgerät – das ist der Blitz aus dem Titel von „Sünde Güte Blitz“. Sie weiß präzise, was Faraday beschrieben hat, und duldet auch sonst keine Spintisierereien und Unregelmäßigkeiten, weder in dem ihr zur Obhut aufgetragenen Haus noch zwischen Menschen und Dingen allgemein. Misstrauisch beäugt sie das Treiben des Herrn Weiss, der sie obendrein unangenehm an eine ihrer verflossenen Liebesbeziehungen erinnert. Man nimmt dieser Räuberpistole von Buch nichts vorweg, wenn man den beiden Ärzten die übrig gebliebenen Worte des Titels zuordnet. Tatsächlich ist es nämlich schwierig, ausführlich Inhaltliches von Georg Kleins Buch zu berichten, da man zu viel verraten würde. Das ist bekannt bei Literatur, die ihre Spannung aus einem Wust von paranoiden, komischen Schlussfolgerungen gewinnt, also bei Büchern, die man einmal mit großer Geschwindigkeit lesen kann, dann aber eben nie mehr, weil man nicht den Text liest, sondern nur die Geschichte verschlingt. Denn es sind eben Räuberpistolen, mehr als Literatur.

 

Strukturiert ist „Sünde Güte Blitz“ durch kuriose Prologe am Anfang jeden Kapitels, die in ihrer Plattheit nichts zu wünschen übrig lassen, Gemengelagen aus TV-Pfarrer-Weisheiten und Grzimeks Säugetierlexikon. Sie bremsen das hohe Tempo, an das man sich vom vorherigen Kapitel gewöhnte, Gott sei Dank sind diese predigtartigen Passagen wirklich kurz. Der restliche Text läuft holterdiepolter geschwind und beginnt mit einem nächtlichen Besuch am Geburtstag von Angela, der wahrhaftig zum Fenster hineingesprungen kommt. Eine Art Erzengel, der sich von der empörten Angela eine mehrstündige Standpauke anhören muss, durch die sowohl dem Erzengel wie dem Leser einiges klarer wird und die Geschichte vorankommt.

 

Es gibt einen Gegenspieler zu diesem Engel, der unerkannt die längste Zeit des Textes sein Unwesen treibt und schwefelig oder brandig auch nach faulen Eiern riecht – vielleicht ein Teufel, vielleicht ein ganz normaler Homunkulus. Beide, Engel wie der Homunkulus, können Dinge tun, die jeglichen physikalischen Gesetzen hohnsprechen, eine Situation, die Angela missfallen muss, obwohl sie andererseits vom Erzengel recht beeindruckt ist, vor allem von seinem Körper, der völlig unbehaart ist. Die Menschen im Roman jachtern diesen überirdischen Kontrahenten hinterher und bilden sich ein, die Situation kontrollieren zu können, sogar Elena, die bezaubernde Praxishilfe glaubt an die Schlagkraft ihrer weiblichen Reize eher als an Übermenschliches. Aber es gibt auch Wissende, die nicht deutlicher in Erscheinung treten oder verwandelt wieder auf die Szene zurückfinden: So zum Beispiel ein wünschelrutengehender Kammerjäger, eine reizende Vorstellung, dass diese Technik ein effektives Mittel zur Bekämpfung von Hausstaubmilben ist. „Sünde Güte Blitz“ neigt sich dem Klamauk zu und tunkt auch darin ein.

 

Georg Klein hat ein leicht lesbares Buch geschrieben, das rasant und unterhaltsam über jede denkbare Tiefe und Komplexität hinwegrauscht. Auch sprachlich ist der Text simpel, die Sätze sind kurz und schnörkellos, hier werden keine Experimente gemacht, hier wird eine Geschichte erzählt. Das ist nicht unangenehm, da Klein weder kalauert noch angestrengt geistreich zu sein versucht, ausgenommen in den Kapitelanfängen. Andererseits verdonnert es das Buch aber eben dazu, nur einmal gelesen werden zu können, es sei denn, man leidet an Amnesie.

 

Gustav Mechlenburg

 

Georg Klein: Sünde Güte Blitz, 192 Seiten, 17,90 €, Rowohlt 2007

 

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