26. Februar 2007

Architektur am menschlichen Körper

 

Ein Sciencefiction als deutsches Märchen. Oder auch: eine Techno-Saga aus dem nord-fälischen Rasseraum. Bestimmt aber: ein metaphysischer Roman, der weniger an der Metaphysik als an sich selbst scheitert. Suttung ist ein Riese aus Deutschland. Der spaziert an den Stränden Neuenglands, um – kleine Mädchen zu rauben? Ganz im Gegenteil. Suttung ist ganz sanft, er arbeitet seit zwanzig Jahren in den Vereinigten Staaten als Computerfachmann. Er ist eher schüchtern. Eine Deutsche lernt ihn kennen und nimmt ihn mit ins Heimatland. Die Deutsche heißt Sieglinde. Suttungs Vater, ein Kunsthändler, trägt den Namen Gilling, dessen Vater, ein impressionistischer Maler, den Namen Kvasir. Die Frauen von Gilling und Kvasir lernt man leider nicht kennen, auf die Namen hätte man sich sehr gefreut. Immerhin gibt es noch eine Mechthild, eine Freundin von Sieglinde. Beide deutsche Mädchen arbeiten für Deutschlands größten Architekten mit Namen Hant, der wiederum finanziell unterstützt wird von Deutschlands reichstem Mann mit Namen Arbogast. Dann gibt es noch einen Mann, der so ähnlich heißt wie Hant, nämlich Hahl, der die Buchhaltung des Architekten führt. Arbogast ist ein großer Bewunderer von Hant, dem Architekten, aber Arbogast ist ein böser Mensch, der mit unredlichen Mitteln an so viel Macht gekommen ist. Die deutsche Welt scheint geteilt in eine schäbig-proletarische Gefahrenzone deutscher Vororte und eine saubere, reiche Zone der Gelassenheit und der Melancholie. Denn obwohl Hant der beste Architekt ist, will er im Grunde verschwinden, als Person, er will keine Spuren hinterlassen (was als Architekt ja ein bisschen schwer fällt), er hält lange Monologe, bei denen man vielleicht an Thomas Bernhard und vor allem an seinen Roman eines gescheiterten Architekten, „Korrektur“, denken soll, aber wenn man an Thomas Bernhard denkt, dann fällt einem nur ein, dass man ihn nicht ungestraft nachahmt. Anders als Andreas Maier in seinen beiden wunderbaren Romanen („Wäldchestag“ und „Klausen“) gelingt dies Händler nicht. „Korrektur“ ist die Vor-Parodie auf „Sturm“. Dieser Roman liest sich größtenteils wie ein unerträgliches, maniriertes Ballett, die Figuren reden gar nicht so viel miteinander, aber sie sind unglaublich verschroben in ihrer expressiven Gestik, von der man nicht so recht weiß, was sie soll. Diese Kapricen sind wie unlesbare Rebusse, bei denen die Figuren an ihrem eigenen Körper neue Buchstaben applizieren oder alte wegstreichen und der Leser und Betrachter aber gar nicht den Textkörper in Betracht ziehen kann, auf dem diese Operationen vonstatten gehen. Diese Rebus-Tänze haben aber in ihrer Sinnlosigkeit nichts Leichtes und Spielerisches, sondern sie wiegen schwer wie eine deutsche Botschaft an ein tumbes Publikum. Der eigentliche Spannungsbogen aber startet erst in der zweiten Hälfte des Romans, dann kommt nämlich noch eine Figur ins Spiel, die den Namen Sean trägt, das ist die Frau des Architekten, und als Suttung, der Held, ihre Stimme das erste Mal hört, verliebt er sich sofort in sie. Er kann gar nicht mehr arbeiten (er soll digital das nachvollziehen, was der Architekt durch seine spontane Fähigkeit, geniale Entwürfe mit der Hand – und blind – zu zeichnen, aufs Papier bringt). Der doppelte Clou des Romans ist, dass Sean eine Greisin ist (sie ist so alt wie das Jahrhundert, also älter als Leni Riefenstahl), und Suttung trotzdem nicht enttäuscht ist; die beiden Entführerfeen Sieglinde und Mechthild sollen ihn seelisch auf den Akt vorbeireiten, und es – nein, das wird hier trotz allem nicht verraten. Am Ende ist Suttung wieder in seiner zweiten Heimat, wo ihn Kai, seine alte Freundin, mit offenen Armen empfängt. Komplett gescheiterter Roman. Als Märchen? Auch.

 

Dieter Wenk (12.02)

 

Ernst-Wilhelm Händler, Sturm. Roman, Frankfurt 1999 (Frankfurter Verlagsanstalt)