19. Februar 2007

Leben ohne Kredit

 

Der Schauspieler Helmut Lohner sitzt hinter einem Tisch in einem ansonsten leeren, weißen Raum und liest aus Peter Handkes Erzählung „Wunschloses Unglück“, in der der Autor den Selbstmord seiner Mutter, die sich mit 51 Jahren umbrachte, zu einem Fall machen möchte. Was mir noch nie eingeleuchtet hat, ist der Titel der Geschichte, der zwar in ihr motiviert wird, für mich aber nicht nachvollziehbar. Seine Mutter Maria hatte ja Wünsche, und sei es nur der einzige gewesen, mit einem Sparkassenangestellten verheiratet zu sein, was sich nicht verwirklichen ließ. Ein solcher Titel unterschätzt das, was nicht nach draußen gelangt, auch wenn genau das natürlich ein Hauptthema des Buchs ist. In regelmäßigen Abständen werden Dias eingeblendet, meist von der Mutter, und, so fixiert auf den Tod ist schon der Blick des Zuschauers, man sucht in den Gesichtszügen das, was nicht nur das Opfer verrät, sondern auch schon die spätere Leiche. Auf machen Bildern ist sie richtig hübsch, und sofort stellen sich stille Bemerkungen bei einem ein wie: Kann man sich gar nicht vorstellen, wie sich so jemand umbringt. Dann, umgekehrt, wenn man Photos aus der Provinz gesehen hat, diese Enge, in allem, die Vermutung, dass das ja wirklich vorprogrammiert war mit dem Selbstmord. Und das war dann auch die Einschätzung des Sohns, also Peter Handkes, es musste so kommen. Manchmal schreibt er in der Geschichte über das Schreiben, dass er nicht nur eine rein private Verarbeitung bezweckt habe, sondern ein individuelles Schicksal so fassen wollte, dass in ihm auch ein gültiges Allgemeines zum Vorschein kommen würde. Wenn man sich das überlegt, dann ist es nicht falsch, seine Mutter als Märtyrerin zu betrachten, ihr Tod ein Stellvertretertod, die Verbote, auf die sie stieß, waren die Verbote von vielen anderen auch, vor allem von Frauen natürlich. Ein paar kleine Filmchen werden ebenfalls eingespielt, zwei darunter sehr beeindruckend; zum einen ein beinah statischer in Schwarzweiß, ein Blick ins Innere der Dorfkirche wird geworfen, vom Eingang in Richtung Altar, und dieser Altar sieht genauso aus wie ein zu dieser Zeit wohl übliches Modell eines Fotoapparats, was natürlich in einem übertragenen Sinn dadurch eine unheimliche Realität bekommt. You are watched, permanently. Der andere, in einem dumpfen Grün gehalten, zeigt einen Weg, vielleicht aus einem Dorf hinaus, auf dem zwei schon etwas ältere Männer entlanggehen, und dieses Gehen hat etwas Auswegloses, auch wenn die beiden natürlich nach vorne gehen, vorwärts kommen, aber irgendwie bleiben sie doch stehen, ein bitterschöner Anblick, wahrscheinlich kommt auch dazu, dass es nun bald ans Sterben geht, die Rückzugsmanöver der Mutter, die Abschiedsbriefe, die Fahrt in die Stadt, wo sie sich auf Rezept Schlaftabletten kauft, dann wieder mit dem Bus aus der Landeshauptstadt zurückfährt, den Abend ganz normal mit der jüngsten Tochter verbringt, und dann in der Nacht alle Tabletten auf einmal nimmt, und sich dazu auch angemessen einrüstet mit Menstruationshose und zusätzlichen Windeln, wie es der Sohn peinlich genau vermerkt. Dann ist das Stück zuende.

 

Dieter Wenk (12.02)

 

Wolfgang Glück, Wunschloses Unglück von Peter Handke, ORF 1974