19. Februar 2007

Speaker’s corner

 

Über sein Äußeres kann sich der gestern 60 gewordene Peter Handke nicht beschweren. Reisen, viel frische Luft. Die ständige Eindrucksbereitschaft. Die Wachheit durch das zu Papier bringen. Dazu die Dauerwut gegen den Westen. Er hat immer schon Feinde gehabt. Das Internat, in das ihn seine Eltern steckten, schlimmer Vertrauensverlust, aber auch Schreibbeginn. Entfremdung, sein erstes Thema, Schreibexerzitien grammatischer Formalität, die Nouveau-Roman-Adaptationen, seine ersten Veröffentlichungen in den „manuskripten“ von Alfred Kolleritsch, der erste Skandal mit „Publikumsbeschimpfung“ 1965, ein Jahr später Reise in die USA, Beschimpfung der „Gruppe 47“, der erste literarische deutschsprachige Popstar, die Saugnäpfe der Kameras, das bereitwillige Sprechen des Texts, das muss ihm schon Spaß gemacht haben, aber natürlich vor ernstem Hintergrund, dass er irgendwie Recht hat, die anderen sich an Altem, Altgewordenem abarbeiten. 1971 der Selbstmord der Mutter, erstaunlich, wie fast nebenher er an einer Stelle sagt: „Das war vorauszusehen.“ Handke als allein erziehender Vater, er ist schon in Paris, wo seine Tochter auf die Schule gehen wird. Jetzt lebt er schon ein Jahrzehnt in einem Pariser Vorort im Südwesten, hier „spielt“ sein Roman „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ von 1994. Dieses Buch über alles und nichts, sein Ideal seit seinem Cézanne-Erlebnis: keine Handlung, keine Spannung, keine Charaktere, ein Erzählen, das quasi von allein geht, ein bisschen wie Flaubert. Er erschrickt fast vor den Stellen, die für andere ein gefundenes Fressen wären, der Mord in „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ wird in drei Sätzen abgehandelt. Peter Handke ist kein guter Redner. Oder er bemüht sich um jedes Wort (le mot juste, noch mal Flaubert), vielleicht ist es auch der Wechsel ins Deutsche vom Französischen. Das ist ja immer frappierend zu sehen, wie Mündlichkeit und Schriftlichkeit so weit voneinander stehen können. Zwei literarische Sonnen, Kafka und Goethe, den einen glaubte er definitiv hinter sich gelassen zu haben („tschüss, Kafka“, nett, wie er das sagte), aber dann musste er noch mal schauen, wie er schreibt, die technische Seite. Goethe, der erste Nur-noch-ja-Sager, das hat schon Nietzsche gemocht; Roland Barthes: „Ich wende meinen Blick ab, das wird von jetzt an meine einzige Verneinung sein.“ So ganz hat das Handke nicht geschafft. Im Gegenteil, sein Schreiben kann vermutlich gar nicht ohne das An-Schreiben gegen seine Feinde verstanden werden. Dabei ist es sekundär, dass er nichts „zu sagen“ hat, wenn er zu schreiben hat, das reicht als Gegenprogramm ja völlig aus, diese Selbstbezogenheit, diese politische Reinheit, diese Des-Engagiertheit. Für seine andere Wut hat er das gleiche Medium, aber einen anderen Zugriff, Stichwort Serbien. Dieses Datum, an das er erinnerte, niemand „im Westen“ wird das wohl noch gewusst haben, 24. März 1999, Krieg gegen Jugoslawien. Macht und Geld als Kriegsstifter. Dagegen setzt Handke zum Beispiel seine Nova aus „Über die Dörfer“, mit dem Spruch „der ewige Friede ist möglich“, er sieht selber den Unsinn dieses Satzes, aber schränkt ein, dass es jemand geben müsse, der so was sagt. Es fällt nicht schwer, diesen Mann zu bewundern, seine literarische Welt, sein Leben, aber Leute wie er, zu denen auch Botho Strauss gehört, sind immer in Gefahr, zu „schönen Seelen“ zu werden. Hier rächt es sich, dass die Dialektik, die man zu einer bestimmten Zeit zu Recht verabschiedete (Strauss), immer noch draußen vor der Tür hockt und zum Beispiel als „Dialektik der Sittlichkeit“ vergeblich an die Tür des herrschenden Sprechens und Schreibens klopft. Eine pure Jähzornigkeit seitens Handkes (seine gewünschte Aktion mit dem obigen Datum, an das wir im Westen jeden Tag erinnert werden müssten) hilft da nicht viel weiter.

 

Dieter Wenk (12.02)

 

Peter Stamm, Peter Handke – Der schwermütige Spieler (arte)