13. Februar 2007

Danny geht

 

In den ersten Minuten und ganz am Schluss dieses Dokumentarfilms über die möglichen Hintergründe des Verschwindens eines Mannes, Danny Williams’, des Onkels der Regisseurin, wird ein Foto gezeigt, auf dem Danny und sein zeitweiliger Arbeitgeber, Andy Warhol, zu sehen sind. Im Vordergrund des Bildes Danny Williams, der abgebrochene Harvard-Student, der als Filmemacher sein Glück versuchen will und Einlass in die „Factory“ erhält, dahinter der Meister selbst, er scheint Williams etwas ins Ohr zu flüstern, aber mit welcher Dämonie tut er das, und man fürchtet um den jungen Mann, denn man wird den unmittelbaren Eindruck nicht los, dass hier ein unabänderlicher Schicksalsspruch formuliert wird, an dem Williams schon dabei ist, zu Grunde gehen. Es gibt in diesem 75-minütigen Film eine ganze Reihe von Bildern und kurzen Filmsequenzen, die eine solche Intensität ausstrahlen, wie man sie schon lange nicht mehr gesehen hat, z.B. von Edie Sedgwick, die man auf den Kopf zu als „Salome“ in Richard Strauss’ gleichnamiger Oper („Drehbuch“: Oscar Wilde) – ein wunderbares Stück „Camp“ im Sinne von Susan Sontag – nominieren möchte, nur dass Sedgwick eine solche Kälte ausstrahlt, dass die Camp-Zugehörigkeit für diese Besetzung zu überdenken wäre. Oder die kurzen Aufnahmen des Malers Robinson, sicherlich komplett zugedröhnt mit Drogen, aber was soll’s, das ist absolut sensationell, wie es möglich ist, jemandem zuschreiben zu können, die Inkarnation des Narzissten zu sein, und ein paar Sekunden später sieht er aus wie ein absoluter Bösewicht, die Wiedergeburt Cesare Borgias und die Wiederkunft satanischer Lust. Die meisten dieser Filmsequenzen stammen von Danny Williams, und man darf sich schon jetzt freuen, die Filme vorgeführt zu bekommen, die jahrzehntelang in den Archiven des Museum of Modern Art ungesehen und unvermisst lagen. Wenn man diese Ausschnitte gesehen hat, versteht man, dass Williams der richtige Mann am falschen Ort war. Zuletzt hatte er in der Factory nichts zu suchen, dieser Mann war zu kompliziert und ambitioniert, um der scheinbar leichten Lässigkeit dieser faszinierenden Anstalt zu entsprechen. Vielleicht wollte hier jemand zu viel, stand zu befürchten, dass zu viel durcheinander gewirbelt würde, vielleicht stand eine neue Phase bevor, wer weiß. Dafür aber, für diese Aufmischung, war Danny Williams zu schwach. Rein charakterologisch scheint er von Beginn an ein Außenseiter dieses Trupps von Wahnsinnsnarzissten gewesen zu sein. Viel zu lieb, höflich, fleißig (im bürgerlichen Sinn dann doch), und als er anfing, andere in ihrem Revier zu besuchen wie zum Beispiel den monopolistischen Paul Morrissey, musste es Ärger geben, die üblichen Prozeduren von Meidung und Ausgrenzung. Das wird – teilweise sehr lustig – in den Interviews vorgeführt, die die Nichte mit einigen Ehemaligen der Factory führen durfte, etwa Brigid Berlin, Gerard Malanga, John Cale oder Billy Name. Hier erhalten die Altvorderen noch einmal die Möglichkeit, die Grenzen zu bestimmen, Einflüsse zu verneinen und eben aktiv in die Geschichtsschreibung einzugreifen. Das Schöne daran ist, dass der Zuschauer oft selbst beurteilen kann, wo ein Mythos weitergetragen wird oder wo die Felle ganz schnell wegschwimmen. Paul Morrissey sieht hier manchmal richtig alt aus. Wie es am Ende wirklich war, wie es zu dem wohl großen Drogenkonsum von Williams kam und wie verletzt er am Ende war, er, der anfangs sogar bei Andy Warhol in der Wohnung wohnen durfte, die dieser mit seiner Mutter teilte und der vermutlich Andys Liebhaber war und wie es dann eben zu dem Verschwinden kam, das wird zwar glaubhaft insinuiert, aber vielleicht tummelt sich Herr Williams schon lange als Meergott im Ozean herum. Der Film könnte am Ende schneller zum Schluss finden, aber er ist ein unbedingtes Muss nicht nur für Warhol- und Factory-Fans, er gibt viel zu spekulieren und Großartiges zu sehen.

 

Dieter Wenk (02.07)

 

Esther B. Robinson, A walk into the sea. Danny Williams and the Warhol Factory, USA 2007