1. Februar 2007

Ultraschall 2007

 

Auf der Bühne steht ein Flügel neben einer Leinwand, auf der sich die Aufbauten filmisch spiegeln. Wir sehen links außen einen Pianisten, rechts außen die Projektion desselben Pianisten und dazwischen den ausladenden schwarzen Rahmen zweier Konzertflügel. Wir nehmen dieses in Zeiten von Webcams nicht ungewöhnliche Environment zur Kenntnis, in dem sich alles zu verdoppeln scheint, wozu neben der Bedienung der Klaviersaiten mit Schlagzeugschlegeln auch eine Choreografie des Pianisten Ernst Surberg gehört, der aufsteht, sein Jackett auszieht und zusammenlegt, der einen elektronisch verfremdeten Text deklamiert. Wir folgen dem Geschehen eine Weile, ohne den entscheidenden kleinen Unterschied ums Ganze zu erkennen, bis der Pianist im Video sich erhebt, obwohl der auf der Bühne noch sitzt – und plötzlich verändert sich auch die Musik: Es handelt sich eben nicht um dasselbe, synchron gespielte Stück. Es ist ein auf Punkt passendes Zusammenspiel, perkussiv, konzentriert, faszinierend.

 

Das Ultraschall-Festival für neue Musik (das die bemühte Diskussion ums große n listig in Versalien versenkt) fand vom 19. bis 28. Januar zum neunten Mal in Berlin statt. Was ist zu erwarten, wenn die »Die Rückkehr der Wirklichkeit« auf dem Programm steht? Zum Beispiel Michael Beils »Mach Sieben« für Klavier, Zuspiel und Video von 2000. Aufgeführt am letzten von zehn Festival-Tagen im 2006 eröffneten Radialsystem V am Spreeufer. So findet »die Wirklichkeit« in die sich emanzipierenden Projektionen. Das hätte vielleicht sogar dem Denker des großen N gefallen, der den Weg zu facta bruta nur im kognitiven Durchgang durchs künstlerische Material für möglich hielt. Und ganz an Adorno vorbei lässt sich der »rote Faden« des Programms wohl auch kaum formulieren: »die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz von zeitgenössischer Musik«. Aber statt sich mit Adorno auf irgendwelche sequenziellen Hochrechnungen einzulassen, bringen die Programmverantwortlichen unterschiedlichste Klangwelten auf die Bühne, die zeigen, dass sich über diese Frage sinnvollerweise nichts von einem musikwissenschaftlichen Turm aus präjudizieren lässt.

 

Rote Fäden gibt es einige, deshalb nennt das Programm sie Gravitationszentren. Am ersten Wochenende ist es das Schlagzeug. Die US-Amerikanerin Robyn Schulkowsky veranstaltet Trommel-»Labs« für Kinder. Das Verhältnis von Film und Musik wird thematisiert, dazu spielt das Ensemble Ascolta neue Kompositionen zu experimentellen Stummfilmen der 20er Jahre. Auch Fausto Romitellis Video-Oper »An Index of Metals« gehört in diese Linie und führt auch gleich die Problematik vor, dass nämlich Musik und Bild auch voneinander ablenken können oder sich bloß gegenseitig illustrieren.

 

Ultraschall hat sich unter der Frage der »Relevanz« in diesem Jahr aber auch dem konkret gesellschaftlichen Engagement geöffnet. Das im Rahmen des Orchesterkonzerts aufgeführte »Morgenlied« von Nicolaus A. Huber, Jahrgang 1939, gehörte zu den Highlights, das die Spannung zwischen ästhetischer Darbietung und kritischer Stellungnahme fassbar machte. Eindringlich auch »Shira shir« des israelisch-palästinensischen Komponisten Samir Odeh-Tamimi – ein Auftragswerk des DeutschlandRadio – der Texte des jüdischen Dichters Jizchak Katzenelson vertont hat.

 

Der 2004 mit nur 41 Jahren verstorbene Italiener Romitelli ist am zweiten Festival-Wochenende ebenfalls eine Art Leitmotiv. Neben der Video-Oper, vom Ictus Ensembe realisiert, spielt das Arditti String Quartett sein Werk »Natura morte con fiamme« und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin das Stück »Flowing down too slow«, das in Zusammenarbeit mit Art Zoyd entstand. Romitellis Passion ist die Rockmusik der 70er Jahre. Seine Werke sind Klangskulpturen, ausgegeben in Notationen, die unspielbar zu sein scheinen, wie im Fall des am letzten Tag von Hubert Steiner sitzend vorgetragenen Stücks »TrashTVTrance« für E-Gitarre solo (was durch den Gebrauch eines Delays untergründig unterlaufen wurde). Noch die Rückkopplungen soll die Notenschrift erfassen, die der Spieler mit einem Cinch-Stecker auf der Oberfläche der Pick-ups seiner Gitarre erzeugt. Vorschlag für einen künftigen »roten Faden«: Verhältnis von Aufwand und Ergebnis in der notierten Musik.

 

Ralf Schulte