14. Januar 2007

TESTOSTERON UND VERZWEIFLUNG

 

The depths have covered them; they sank into the bottom as a stone (Händel, Israel in Egypt)

TESTOSTERON UND VERZWEIFLUNG
Lutz Krüger: screening THE HOLE STORY


Ich wollte immer ein Junge  sein.
Da ist es mir wieder eingefallen. 5 Männer in gelbem Ölzeug, ein Langer, ein Schwerer, ein Schneller, ein Langsamer, ein Opfer. Sie tauschen die Rollen auch. Sie sind sowieso meist derartig ineinander verknäult, dass sich keine Individuen mehr ausmachen lassen.

Das geht sehr eng, Hand über Hand, an Rücken an Bein an Gummistiefel des anderen, an Südwester-Schulter, an Brust und Knie und Sprunggelenk. Kopf über Kopf unter.

Das Schiff holt über, in Seenot, fünf im Schiffsbauch, ein Leck, ein Loch, THE HOLE STORY heißt der Film von Lutz Krüger. Ja, es gibt schon einen Film gleichen Namens, aber darüber schreibe ich nicht. Dies ist weder appropriation art noch Landschaftskunst, dennoch wurde dieses Ereignis produziert im und für den Laderaum der Schute der Galerie für Landschaftskunst.

Herzzerreißend sentimental, brachial komisch, großartig, kindisch, ein Traum von Solidarität gefasst in internationale Seefahrtsromantik.
Halb Aufstand, halb Arbeiterwohlfahrt. Ganz Untergang.

Sie kämpfen und liegen mit rosigen Wangen. Tod, kein Wind mehr zu hören, das Schiff gesunken – glucksend schaukelt die Kamera durch gelbes Meer.

Noch mal: Zur Musik von Grizzly Bear und Steve Reich taumelt die Crew zwischen Ballett und Breakdance, 180 Puls, Windstärke 11, in Böen 12, ach was, Böen, Unsinn, Orkan mit Gewitter, das legen die Zwischenpassagen des Films nah, die es nur deshalb gibt, weil Lutz Krüger auch noch etwas sagen wollte. In flackernden Untertiteln heißt es also: soon dead / dead? / dead? / a hole / dead? / dead / all dead?
Man kann nun festhalten, dass Worte im Sturm gesprochen das Auge der Verblödung, den Gipfel der Hirnverbranntheit vorstellen, wie Reden meistens, nur deutlicher in der grundsätzlichen Wirkungslosigkeit. Das erzeugt für diesen Film nun ein amüsiert befremdetes Abrücken von pathetischen Gewitterszenen mit Kommentar und im Gegenzug die unbedingte Anteilnahme, für die unter Deck sprachlos herumschleudernden Seeleute. Ihre choreografierte Überwältigung würde ohne die Gewitterszenen wahrscheinlich eher sportlich taxiert, wie Sturm im Wasserglas, aber in der Kombination von zwei brachial dramatischen Filmteilen, stehen nun alle Zeichen auf Testosteron und Verzweiflung. Nicht gerade dialektisch, eher homöopathisch, indem man Gleiches mit Gleichem bekämpft, nur in anderer Potenz. Sehr schlau.

Der längliche Laderaum der Schute ist mit der Leinwand halbiert, der Film, den man sieht, spielt genau in dem Teil des Schiffs, der von der Leinwand versperrt ist. Die Bohlen, auf denen man steht, ist der Boden, auf den die Mannschaft stürzt. Immer wieder. Es schmerzt beim Sehen.

Die Entscheidung, die Schute als Ausstellungsort im schlammigen Veringkanal sinken zu lassen, ist folgerichtig, eine Meuterei wider Willen, und hat außer seiner provokativen Ansage weitere Implikationen, die hineinreichen in Bereiche der mutwilligen Beschädigung des Handlungsspielraums den man als Künstler hat, sowie in leckgeschlagene Subventionspolitik. Das Ganze also, eine narzisstische Beschäftigung mit dem berechtigten Zweifel (bei gleichzeitiger Hingabe) an so genanntes Teambuilding: Kein Freund kann nah und teuer genug sein, um mit ihm, als bloßes Material, nicht ein Loch zu stopfen, wenn es der eigene Vorteil gebietet.
(Nora Sdun)

Öffnungszeiten:
Sonntags, 21.01, 28.01, 04.02. von 14 - 17 Uhr
Die Schute liegt im Veringkanal in Hamburg-Wilhelmsburg
Zugang über den Hof der Honigfabrik
Industriestraße 125, 21107 Hamburg


lutz krüger *the hole story* (farbe / 4 min. / 2007)

gelbe männer: thorsten bruhn, mathias deutsch, paddy knorr,
seo reuss, tillmann terbuyken

kamera: sören buchheim