10. Januar 2007

Akademischer Autohandel

 

Dieser Artur Becker schreibt ja immer das Gleiche. Da ist also wieder so ein Buch mit einem verkrachten polnischen Akademiker, der in Bremen wohnt und sich in seinen Träumen irgendwo in Polen herumtreibt, meistens in idyllischer Landschaft.

Dieser Pole, dieser typische Artur-Becker-Pole, der fast so typisch ist, wie man selber sich Polen vorzustellen angewöhnt hat, dieser Mann emanzipiert sich in dem Roman „Das Herz von Chopin“ zusehends von der ihn quälenden Sogwirkung seiner Heimat. Und diese Emanzipation erfolgt in einer Art therapeutischen Sitzung.

Artur Becker erfindet zu Anfang seines Romans einen Zuhörer mit einem Gummiohr, der in einer Kneipe sitzt und dem verzweifelten Chopin seine gleich schwebende Aufmerksamkeit schenkt. Diesen Zuhörer vergisst man bald, wahrscheinlich weil man selbst der mit dem Gummiohr ist. Eine eingehendere Untersuchung zu den antizipatorischen Leservorstellungen, die Artur Becker entwickelt, um daraufhin zu seinen unverdrossen schwadroneurshaften Texten anzuheben, muss hier leider ausbleiben und lediglich als Scherz bemerkt werden.

Der Text ist ansonsten eher deshalb komisch, weil es sich um Stereotypen dreht, die abgefeiert, aufgereiht und mit verwunderter Miene von den Protagonisten selbst zur Kenntnis genommen werden. Chopin heißt so, weil er ein berühmter, sprich typischer Pole ist, so normal wie Genies und so einzigartig wie verkrachte Akademiker zu sein pflegen. Als Jugendlicher entwich Chopin der polnischen Wehrpflicht durch den eisernen Vorhang, und so lebt er also schon lange in Bremen. Er ist Kompagnon von zwei weiteren Autodealern, für die er anfangs lediglich als Übersetzer arbeitete, mittlerweile aber an einem Tag so viel am Autos-Verchecken verdient wie eine Pennymarkt-Kassiererin in einem Monat. Ein wenig ähnelt der Roman „Das Herz von Chopin“ dem Buch „Berliner Verhältnisse“ von Raul Zelik. Mitteljunge Männer mit geisteswissenschaftlichen Ausbildungen versuchen von dem Fehler im System zu leben, nicht ohne sich dabei in altmodische, universitär moralische Fragestellungen zu verstricken. Zustände, die nicht auftreten würden, wenn sie akademischen Berufen frönen würden, die sich dadurch auszeichnen, dass sie das Gefühl der moralisch richtigen Seite wenigstens in Latenz erzeugen. Arbeitet man hingegen als Autoschieber, oder Immobilienhai entwickeln sich moralische Erkenntniszwickmühlen zwanglos und ganz ohne Fachliteratur. Warum bin ich nur so geldgierig, welcher art von Rassismus pflegt man, wenn der Kundenstamm sich von türkischen Gemüsehändlern hin zu osteuropäischen Alleshändlern entwickelt, welche Maßnahmen ergreift man, um sich vor wütenden Kunden zu schützen?

Es ist ein solches Kundenproblem, welches Chopin die Liebe seines Lebens beschert, nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn er M.M., eine energischen Kindergärtnerin, ein funktionierendes Auto verkauft hätte. So aber hat er Gelegenheit, sich erst verärgert mit dem schadhaften Getriebe zu beschäftigen, um dann umso eingehender mit M.M. eine nagelneue Lebensliebe zu entwickeln.

Wie das so ist, gleichen sich die Lieben aufs Erschreckendste, besonders wenn man in Stereotypen arbeitet wie Artur Becker. Chopin geht fremd, und das kommt natürlich raus, so etwas kommt immer raus. Das gibt Ärger, er vergräbt Geld im Schrebergarten, trinkt zu viel, und alles wird gut. Die Analyse, die der Mann mit dem Gummiohr gewährleistet, kommt zu dem Punkt, wo Chopin begeistert Klarheit geschaffen hat und konstatieren kann, dass seine Sehnsucht nach M.M. sowie nach Polen unheilbar ist, eine durchaus erwartbare Feststellung, aber für den Patienten neuartig und entlastend. Eine durchaus erwartbare Romanhandlung, aber nicht belastend, manchmal arg kitschig, aber zügig und schmerzfrei lesbar.

 

Gustav Mechlenburg

 

Artur Becker: Das Herz von Chopin, Hoffmann und Campe 2006, 286 Seiten

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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