Kopfhörer
Blake. William Blake? Nein, einfach nur Blake. Frei gezeichnet auf der vage vorhandenen Folie der letzten Tage von Kurt Cobain. Insofern das genaue Gegenteil eines Dokumentarfilms. Aber denken tut man schon irgendwie an den Frontmann von Nirvana. Zu Beginn steht ein Männlein im Walde. Rote Jogginghose, weißes T-Shirt. Der Mann läuft aber nicht, er brabbelt die ganze Zeit. Seltsame, verführerische Klänge wabern aus dem Off. Oder sind wir in der inneren akustischen Bastelstube des Waldgehers? Lange Einstellungen ruhen auf dem jungen Mann. Er selber hat keine Eile. Mit welcher Sorgfalt er Hose und Hemd auf einem Zweig eines umgefallenen Baums aufhängt, bevor er einen kleinen Fluss überquert. Schließlich erreicht Blake, so heißt der junge Mann, ein einsames, großes Haus, eine Art Schloss. Er kennt sich dort gut aus, denn er wohnt dort. Zusammen mit ein paar anderen, die noch schlafen. Das erste, was Blake findet, ohne es vielleicht gesucht zu haben, ist ein Gewehr, das ihn begleiten wird. Man kann nicht sagen, dass Blake zu Hause angekommen ist. Das Haus ist ein weiterer Wald, den er durchstreift, ziellos. Er vermeidet Kontakt zu den anderen, die ihn meistens in Ruhe lassen. Alle zusammen sind sie Mitglieder einer Band. Durch einen Anruf, den Blake annimmt, auf den er jedoch nicht reagiert, erfährt man, dass die Produzenten der Gruppe gerne eine Tour machen würden, und wie das bei ihm, Blake, aussähe… Das jedenfalls scheint Blake keinesfalls zu wollen. Er wirkt apathisch, asozial, seelisch schwerst angeschlagen. So ein Lenz-Typ, wie ihn Büchner in seiner Novelle über den Sturm-und-Drang-Dichter zeichnet. Aus einer anderen Quelle erfährt man, dass er aus einer Reha-Klinik entflohen ist. Die anderen jungen Leute sind zwar etwas kommunikativer, wissen aber auch nicht sehr viel weiter. Sie fahren mal mit dem Auto weg, kommen dann wieder, man erfährt nicht, woher, aber sie haben Drogen genommen, eine Platte von Velvet Underground wird aufgelegt, „Venus in Furs“ singt einer der Jungs komplett mit. Zwischendurch gibt es Besuch aus der Außenwelt, die an diesem Ort so gar keinen Platz hat, ein Vertreter versucht Blake eine Anzeige für die „Gelben Seiten“ anzudrehen und merkt bald, dass sein Gegenüber unzurechnungsfähig ist, später kommen zwei Abgesandte der Mormonen vorbei und versuchen, Scott über die Sekte aufzuklären. Sogar ein Privatdetektiv tritt auf und erzählt eine lustige Geschichte, die aber mit Blake nicht sonderlich viel zu tun hat. Bis auf’s Schießen halt. Manchmal läuft auch der Fernseher im Schloss, und dann sieht und hört man MTV, lustige schwarze Musikanten, die die üblichen nur mehr schwer verdaulichen Clichés zelebrieren. Dagegen wirkt das Abgerottete der Inneneinrichtung des Schlosses als Spiegel der Ausgelaugtheit und Verwirrtheit des Helden geradezu authentisch. Und die Musik, die im Schloss spielt, kommt direkt aus dem Hirn von Blake. Das macht sie, trotz oder gerade wegen seiner offensichtlichen Absenz, so gut und unwiderstehlich. Einmal noch treibt es Blake in die Zivilisation wie seinerzeit den Grafen des Esseintes in Huysmans „Gegen den Strich“, aber das hat keinen Sinn mehr, zu viele Schleimspuren kleben an dieser Welt. Und noch einmal gibt Blake ein wunderschönes und trauriges Lied zum Besten, das zeigt, dass eine Seite in ihm noch nicht abgestorben ist, und etwas später liegt er ausgestreckt, tot, in dem Geräteschuppen, der Gärtner entdeckt ihn, und mit ihm sieht man, wie Blakes Geist den Körper verlässt und am Fenster aufwärts wie auf einer Himmelsleiter das Irdische hinter sich lässt. Keine Geschichte wird in „Last Days“ erzählt. Keine Kamerabewegung deutet eine Zielrichtung an. Alles bleibt an seinem Platz. Das In-sich-Drehen der Figuren nimmt der Film auf durch den Kreislauf der Szenen, die von verschiedenen Stellen ausgehen und am gleichen Punkt sich treffen, ein Prinzip, das Béla Tarr in „Satanstango“ vollendet einsetzt. „Last Days“ ist ein Film, der nichts sagen will. Wem das zu wenig ist, der kann der fulminanten Tonspur lauschen. Man kommt nicht rein ins Hirn der Leute. Aber manchmal geben sie einem etwas zu hören, und dann merkt man, wie schwach unser akustisches Gedächtnis ausgebildet ist. Wenn man nicht wie Blake ist.
Dieter Wenk (11.06)
Gus Van Sant, Last Days, USA 2005, Michael Pitt, Lukas Haas, Asia Argento, Scott Green, Nicole Vicius; Ton: Felix Andrew