10. Januar 2007

Kurzheilung durch Kino

 

Die Geschichte, die für immer spekulativ bleiben wird, ist die der nicht eingetretenen Katastrophen aufgrund zufällig oder schicksalhaft nicht realisierter Berufskarrieren. Nachträglich ist es immer ein Leichtes zu bedauern, warum es damals in Wien unter der kunstakademischen Leitung durch Albert Paris Gütersloh nicht zu einer Aufnahme des jungen, wenn auch vielleicht nicht sehr viel versprechenden Aspiranten Adolf Hitler gekommen ist. Umgekehrt muss man aber womöglich ganz glücklich sein, dass sich zum Beispiel intelligente Monstren wie James Joyce rein auf Buchseiten ausgetobt haben, ohne der Welt auch nur einen Hauch anzutun. Vielleicht hätte ja „alles“ noch viel schlimmer kommen können und wir dürften uns heute nicht glücklich schätzen, über Leute wie Hitler herzlich zu lachen. Eine Komödie über Hitler? Ja natürlich, denn nichts liegt näher, als sich der offen zu Tage liegenden komischen Struktur Hitlers künstlerisch zu bedienen. Zumindest was uns heutige Betrachter angeht. Da ist ja nichts, was nicht zu viel wäre bei diesem Mann. Der Wille zu beeindrucken, das Strebertum, die Rhetorik des Vortrags, die eitlen Gesten. Es fällt uns schwer zu begreifen, warum das scheinbar per se Lächerliche dieser Person nicht schon damals dem Publikum aufgefallen war, was Schlimmes hätte verhindern können. Man kann Dani Levy nur Respekt dafür zollen, dass er darauf verzichtet hat, diese lächerlichen Seiten des Mannes aus Braunau in den Vordergrund zu stellen. Denn Levy präsentiert Hitler beinah selber in der Rolle des Opfers, zumindest jedoch in der des Gescheiterten, des Kranken, des Lebensmüden. An der Spitze des „Tausendjährigen Reichs“ steht ein Mann, dem geholfen werden muss, der ebenso am Boden liegt wie das Land, das er und noch ein paar andere in die Katastrophe geführt haben. Wie soll da jemand noch begeistern, der selber nicht mehr begeistert ist? Das fragt sich auch Dr. Josef Goebbels, der für die Neujahrsansprache des „Führers“ auf das Jahr 1945, die die deutsche Bevölkerung ein letztes Mal zum totalen Krieg aufrufen soll, schwarz sieht. Doch dann hat er eine geniale Idee, die allerdings ziemlich pikant ist. Die einzige Person, die jetzt noch den schwach gewordenen Mann aufrichten könnte, wäre Hitlers ehemaliger Schauspiellehrer, der Professor Adolf Grünbaum, der jedoch die unverzeihliche Eigenschaft hat, Jude zu sein. Da Deutschland zu diesem Zeitpunkt längst als „judenrein“ gilt, ist der einzige mögliche Aufenthaltsort des Professors ein KZ. Grünbaum wird entlassen, dem Propagandaminister vorgestellt, der einschmeichelnd Grünbaum bittet, das mit der „Endlösung“ doch bitte nicht persönlich zu nehmen. Dann endlich kommt es zum ersten Zusammentreffen der beiden Adolfi. Der Österreicher weiß erst mal gar nichts von seinem Glück. Vermutet nicht ganz zu unrecht eine kleine Palastrevolution. Aber dann werden sich doch alle Parteien handelseinig. Grünbaum darf seine Familie aus dem KZ nachkommen lassen, Hitler fängt Feuer, und Goebbels und Himmler können weiter an ihrer Intrige spinnen. Jeder Zuschauer wird vermutlich über Helge Schneider als Adolf Hitler erst einmal etwas irritiert sein. Diese Rolle ist keine Chargenrolle. Seinen Auftritt begleitet kein permanentes Gelächter. Man muss sich in dieses Gesicht hineinsehen. Schneller, als es einem vielleicht lieb sein kann, akzeptiert man diesen Menschen, der sofort seines Hauptclichés als geifernder Mann entkleidet ist und sich mehr wie eine antizipierte beckettsche Figur präsentiert. Schnell wird klar, wohin das Aufbauprojekt Hitlers durch einen jüdischen Schauspiellehrer führen wird. Hitlers miserabler Zustand kommt nicht von gestern oder von vor fünf Jahren. Gleich zu Beginn des Programms liegt Hitler auf der Couch und darf ein bisschen aus dem frühkindlichen Nähkästchen plaudern. Nicht zufällig ist die Psychoanalyse jüdischen Ursprungs. Während sich Himmler und Speer über die von Grünbaum gewählte Behandlungsmethode mit Goebbels beinah überwerfen, der beschwichtigend von neuesten therapeutischen Methoden spricht, macht Hitler alles mit, was Grünbaum von ihm verlangt. Nicht, dass Grünbaum irgendeinen Plan hätte. Eigentlich will er den „Führer“ bei der nächst besten Gelegenheit umbringen, doch dann erregt dieser bei ihm das tiefste Mitleid, und Grünbaum merkt, dass dieser Mann wirklich ein Fall für den Psychiater ist. Schwerste Kindheitstraumata. Der übermächtige Vater. Willkürherrschaft. Die Wehrlosigkeit der Schwachen. All das, was Hitler, so die Interpretation dieses Films, die sich unter anderem auf eine Fallstudie von Alice Miller zu Hitler stützt, überwinden will, was ihm nur so gelingt, dass er die Seite wechselt, die schlimme Struktur aber beibehält. Die Juden spielen später unter anderen die Rolle, die Hitler als Kind spielen musste. Hitlers spätere Rolle war aus dieser Perspektive schon vorsouffliert. Es ist dann nur logisch, dass die Idee des Soufflierens am Ende des Films aufgegriffen wird, nur dass jetzt der Text mit jüdischen Witz entwendet ist. Die Neujahrsansprache des Führenden ist keine Wiederauflage früherer Sprechexzesse, sondern ein fast meditativ klingender Krankenbericht, durchsetzt mit hippieesken Hoffnungen auf Frieden. Helge Schneider ist Großartiges gelungen bei dem Versuch, Hitler zu entsteinen. Behutsam wird die Maske abgetragen, die Mittel sind manchmal recht derb, aber bei diesem Kaliber müssen verschiedene Register gezogen werden, auch das der Groteske (die Bettszene mit den Grünbaums), oder das der märchenhaften Postmoderne (das grandiose Hitlersche Schlafzimmer, nicht zu vergessen das Badezimmer). Und was ist nicht Adolf Grünbaums Blick wert, als er aus dem Führerhauptquartier auf die ihm zujubelnde Menge blickt und für einen Moment im Zuschauer die Frage aufblitzen lässt, wer hier eigentlich wen verführt und ob es sich bei solchen Begegnungen nicht um unterschiedlichst anreicherbare Kopplungen handelt, die seit je und je mit verschiedensten Auswirkungen durch die Menschheitsgeschichte stolpern. Manchen wird dieses Herunterkochen auf die Kinderstube gar nicht gefallen, aber das sagt überhaupt nichts gegen Helge Schneiders außergewöhnliche Entblätterung des gängigen Bilderbuchs.

 

Dieter Wenk (11.06)

 

Dani Levy, Mein Führer, D 2007, Helge Schneider, Ulrich Mühe, Sylvester Groth