9. Januar 2007

Rote Raufasertapete

 

Wirklich wunderbar ist die Szene gegen Schluss des kurzen Stücks, in der Monika Bleibtreu zu ihrem Fenster, also Ulrich Bunzels Fenstertheater heraussingt. Blindwütig und in echter Theaterrage. Frau Bleibtreu spielt eine Hosenrolle, und die Maskenbildner haben ganze Arbeit geleistet, sie sieht fürchterlich aus. Ulrich Bunzel ist ein verhutzeltes Männlein mit vorspringendem Bauch, drei Tage bärtig, mit Seitenscheitel und Lesebrille aus der Drogerie. Ein verkrachter und versoffener Schauspieler aus St. Pauli, abgehalftert und uninspiriert. Zu allem Überfluss soll nun sein Leben verfilmt werden und die Hauptrolle spielt nicht Bunzel selbst, sondern Klaus Maria Brandauer. Darüber verzweifelt Bunzel, kann sich aber nicht dazu durchringen, Selbstmord zu begehen, um Brandauer nicht auch noch eine dramatische Sterbeszene gratis zu liefern. Obendrein hat Bunzel auch keine rechte Muße für einen stilvollen Selbstmord, zu viele Termine. Nämlich vier an diesem Tag, seit einem Jahr die ersten. Eine Misere also, und das ist nicht sonderlich komisch. Dennoch lachen die Zuschauer, besonders gerne, wenn die kümmerliche Armut Bunzels in Zwiebelnetzen, billigem Fusel und leckendem Kühlschrank zutage tritt. Offenbar wohnen sie nicht selbst auf St. Pauli, wo ein kleiner Spatziergang durch die Gemeinde mehr jämmerliche Bunzel-Komik offenbart als dieses Stück von Klaus Pohl. Das offensiv zum Publikum gerichtete Spiel ähnelt mehr einer souveränen Nummernrevue als dem Leben eines einsamen Kauz’ in einem schäbigen Pensionszimmer. Ist Ulrich Bunzel die Hauptperson oder doch eher die Schauspielerin Monika Bleibtreu, die sich geschäftig in den Schritt fast? Man kann unbesorgt sein, das Publikum ist sich in dieser Frage vollkommen einig. Wer ganz aus der Nähe Groupies erleben möchte, ohne mit Softdrinks bekleckert zu werden, sollte sich die stehenden Ovationen für die Grimme-Preis-Trägerin 2005 im Sankt Pauli Theater ansehen. Das einzige Theater mit rot gestrichener Raufasertapete.

 

Nora Sdun

 

Nachtgespräche mit meinem Kühlschrank

Von Klaus Pohl, mit Monika Bleibtreu, St. Pauli Theater, Hamburg

 

Weitere Vorstellungen: bis 15. Januar 2007, jeweils 20.00 Uhr