2. Januar 2007

Mahjong und dritte Zähne

 

Die Kunsthalle Hamburg hat einen neuen Eingang – einen dritten. Man kann nun das rote Laufband von Jenny Holzer, das Durchtunneln des Kellergeschosses mit den scheußlichen Bodenfliesen vermeiden, da sich nun von Tür zu Tür der Sockel aus rotem Granit überschreiten lässt. Das ist der glamouröse Akt bei einem Museumsbesuch an einem Mittwoch in Hamburg.

 

Das Museum ist voll, voller Schulklassen in der Sammlung Sigg mit chinesischer Gegenwartskunst, und noch voller, voller Rentner nämlich, aber das entspricht ungefähr der Altersentwicklung in der Bundesrepublik bei der Ausstellung von C. D. Friedrich.

 

Beiden Ausstellung ist eine unerträgliche Überhöhung der Werke eigen, daran ließen sich nun sehr schön die Methoden von Wertschöpfung demonstrieren, ohne die Künstler damit weiter zu belasten, aber das ist nicht üblich, weder in der Kunsthalle noch sonst wo, eine gängige Art der Gedankenfaulheit.

 

Was ist zu sehen?

Europäische Gehirnknoten mit dunklem Wald und Fels und Meer, das Tiefsinnigste, was hervorgebracht wurde hierzulande, ja – mehr is’ nicht. Aber niemand lacht.

 

Und chinesischer Konsumwille, getreu der zeternden europäischen Überzeugung, dass man es bei China und den Chinesen mit einem neuen Superszenario zu tun hat, das einen jetzt akut bedroht in seiner Wald-, Fels- und Weimarer-Klassik-Vormachtstellung, vereint mit dem sicheren Wissen, dass der Verlust dieser „schönen“ europäischen „Werte“, die schnurstracks in die C. D.-Teufelsschlucht hinabfahren werden oder meinetwegen von einem Rügener Steilufer stürzen, bereits unmittelbar bevorsteht.

 

Die Kombination der Ausstellungen ist aber doch sehr gut zu gebrauchen. Die dritten Zähne und Mahjong-Spielsteine, halb Bambus, halb Ochsenknochen, in beiden Fällen resolut ausdifferenzierte dritte Lebensphase, bei Sammlern und Rentnern – die Schüler müssen, das hat sich ihr Lehrer so ausgedacht.

 

Allerdings ist in beiden Fällen das Szenario nicht herausgearbeitet, und das ist ärgerlich. Friedrich ist nicht als Maler ausgestellt, sondern als geriatrischer Beinwell, lindernd und entspannend. Tafelmalerei – geliebte – immer will ich dein besinnungsloser Rezipient bleiben, nichts dabei denken und auch nichts verstehen. Lustig wird’s im Disco-Zimmer, mit den illuminierten Papierarbeiten und schwurbeliger Musik, die sollen sich das nächste Mal sachkundige Verstärkung aus St. Pauli holen. Na, Friedrich kann es wurscht sein.

 

Bei den Chinesen ist es ärger, denn hier hat man es mit einer Sammlung des Schweizers Uli Sigg zu tun, ehemals Botschafter in China. Der sammelt chinesische Kunst, und das schon seit etwa 20 Jahren. Dies in Hamburg ausgestellt, macht vor allem deutlich, dass es sich hierbei um eine kluge ökonomische Entscheidung zur Wertsteigerung eben dieser Sammlung handelt, so eine Art erster Entdecker in einem ethnologischen Niemandsland ist der Sigg nun. Eine saubere rassistische Behauptung meinerseits, die hysterische Promotion für die Schau legt es aber nahe. Sigg eine Art kolonialer Connaisseur, ein kunstökonomischer Mienenleger. Besonders differenziert und klug einer chinesischen Ästhetik folgend erscheint die Schau jedenfalls nicht. Reißerisch und plump dagegen sehr. Es ist wie mit der Rezeption der Damen Audrey Hepburn und Brigitte Bardot andersherum, zum Beispiel in Japan. Frau Hepburn ist o. k., sie ist zwar Europäerin, aber sie sieht wenigstens ein bisschen japanisch aus. An die Bardot wagt man sich lieber nicht heran.

 

So sieht also auch die Sammlung Sigg aus: Es ist zwar Kunst von chinesischen Künstlern, aber sie sieht frappierend europäisch aus, besonders weil die Exponate vor allem Paraphrasen europäischer Kunst liefern, sodass man sie ohne Sorge sammeln kann. Das geht besonders gut, solange die europäischen Künstler im Vergleich dazu besser abschneiden. Andere Kunst aus China wird nicht gesammelt – modern ist, was aussieht wie Europa. Verwirrend ist das, wo doch gerade behauptet wird, dass China Europa abhängt, in der rasenden Verfertigung von Modernität, und von den großartigen Aufbrüchen gefaselt wird. In der Ausstellung sind jedenfalls keine zu sehen. Das ist sehr, sehr ärgerlich, berichtet nichts über chinesische Kunst, sondern nur über Europäer, und das ist interessant, wird aber nirgends angemerkt.

 

Man muss sich überlegen, ob Kunsthallen die neuen Völkerkundemuseen sind. Unrühmliche, aber angeberische Lagerhäuser von hässlichen Souvenirs aus fremden Ländern, die eigens für die reisenden Großsammler produziert werden. Völkerkundemuseen, voll gestopft mit Produkten eines globalisierten Kunstverständnisses, die nichts über die Souvenirs berichten können, was man nicht auch von amerikanischen, französischen, britischen, deutschen Souvenirs sagen könnte, aber so tun, als ob es irgendetwas mit China oder wo auch immer zu tun hätte. Eine simple rassistische Selbstverstärkung des in die Ferne Reisenden. Eine verquere Art von, na sagen wir Heimatkunde und Portfoliodiversifikation. Ich fänd’s super, wenn sich herausstellt, dass Uli Sigg einen abgelegenen Berghof hat, auf dem Schweizer Künstler wie wild chinesische Kunst produzieren.

 

In einem der Flure hängt eine Ansammlung alter chinesischer Propagandaplakate, wenige nur und nicht im dokumentarischen Sinne, sondern als eine Art evokativer Grund, damit man die schlechten Malereien in den Sälen kapiert.

 

Derweil wird die Luft bei C. D. Friedrich schlechter, seine Zeichnungen sind schon die ganze Zeit fast unsichtbar (man sperre die Restauratoren zur Strafe alle zusammen in eine Dunkelkammer, sie sind die Einzigen, die sich die Sachen bei Licht anschauen können). Macht gar nichts, die Besucher sind zufrieden, eingepappt mit Katalogen und armiert mit hohlen Sprüchen der deutschen Romantik klappern sie fidel mit ihren dritten Zähnen und verlassen die Kunsthalle durch den neuen Eingang.

 

Nora Sdun