1. Dezember 2006

Auf Biegen und Brechen

 

Derjenige, der später seinen Mitmenschen Freiheit predigen sollte, und vor allem im Hinblick auf die, die sie nicht hatten wie Sklaven, war alles andere als frei. Er war Teil eines Heilsplans, den er selbst nicht durchschaute. Mischling wie Herkules, halb Mensch, halb Gott, mit dem Herzen eines Engels, das ihm der Erzengel Gabriel auf halber Rennstrecke des Lebens – wohl nicht ganz ohne Schmerzen – gegen das menschliche austauschte. Besetzt mit übermenschlichen Fanalen, die er selbst nicht sieht, an denen ihn aber die anderen erkennen, als was auch immer. Sein Onkel, bei dem er aufwächst, merkt schnell, dass er nicht zum Händler taugt: „Handle! fordert der Ohm. Handle! das gleiche Wort, doch welch entfernter, heilig, hoher Sinn! – schreit eine Stimme aus blumiger Wolke, die mich stets beschattet.“ Keine Frage, welche Macht die Macht hat, die Weiche zu stellen. Der Ökonom in Mohammed stirbt ganz ab, der Handelnde folgt dem Händler. Mohammed gefällt es also gar nicht, dass in Mekka, wo er sich niedergelassen hat, das Geld (Gold) angebetet wird und der wahre Geist unter den angebeten Götzen Lat und Uzza verschwindet. Seine erste Predigt stößt auf taube Ohren, schlimmer, man haut ihn beinah tot. Mohammed gibt sich als Mittler zu erkennen, als Sprachrohr der Wahrhaftigkeit, aber niemand will ihn hören. Ein paar Leute bekennen sich gleichwohl zu ihm, die ersten Jünger, acht an der Zahl. Schon bald heißen die Jünger des Mohammed Moslems, und sie haben „viel zu dulden“. Als Mohammed merkt, dass es in Mekka nicht viel zu fischen gibt, geht er nach der mit Mekka verfeindeten Stadt Medina, wo er herzlichst empfangen wird. Die erste Maßnahme Mohammeds in Medina ist eine Predigt. Er weiß, mit was er die Leute enthusiasmieren kann, er spricht sofort vom Tod, aber in der Form des glücklichsten Lebens: „Medina sei die Burg des lautren Gottes! Es wird niemand in seinem Dienst dem Tode anheimfallen, der nicht in das Paradies eingeht. Er wird schön gekleidet und edelsteingeschmückt bei schlanken Engeln verweilen, im Kreis erlauchter Freunde. (…) Er wird essen, ohne satt, und trinken, ohne trunken zu werden, der letzte Bissen wird ihm munden wie der erste. Muntere Mädchen werden tanzend ihn berauschen, und ihre Hautfarbe wird sein wie der Glanz des Vollmondes. Hundert Frauen, die ihre Jungfräulichkeit stetig neu gewinnen, werden ihn liebend beglücken…“ Kann man da noch nein sagen? Wollen „wir“ das nicht alle? Leben wie Salomo schon zu Lebzeiten mit seinen 1000 Frauen? Natürlich reagieren die Zuhörer entsprechend: „Da schrieen die Leute von Medina: ,Wir glauben dir, Mohammed, und deinem Gotte, der soviel Seligkeit zu verschenken hat. Sei unser Feldhauptmann im heiligen Streite!’“ Das ist Religion auf den Punkt gebracht. Auch wenn das Religionskritische Klabund vermutlich gar nicht sonderlich interessiert haben mag, der hier eher den Anlass einer blumenreich zu schildernden Legende sah. Denn natürlich ist in diesem sehr kurzen „Roman“ der Prophet ein Held, der erst mal alle Sympathien auf sich vereinigt, bevor es mit dem Proselytenmachen richtig losgeht. Klabund glaubt mit Mohammed auf der Seite von Freiheit und Geist zu stehen. Aber das ist wohl ein Missverständnis, denn wie Mohammed sich am Ende selbst als Krämer exponiert (das Herunterhandeln der zu sprechenden Gebete auf fünf auf dem göttlichen Markplatz), so gerät das In-die-Welt-setzen des Buches, des Korans („… das Buch war frei…“) zu einem gar nicht erst ambivalenten Akt: Ganz zum Schluss heißt es verkündigend: Das Buch „soll in der Moschee von Medina gelesen werden, täglich; durch hundert Priester: von Anfang bis Ende. Unaufhörlich soll tönen Gottes, des Einzigen, Wort, von Morgenland bis Abendland. Von Auf- bis Niedergang der Sonne…“

 

Dieter Wenk (10.06)

 

Klabund, Mohammed. Roman eines Propheten, Roth-Harrlach 2006 (Heinz Wohlers)