Tränen in Afrika
Gebrochene Jungmädchenstimmen, die aus dem Nähkästchen plaudern, das man als Außenstehender noch gar nicht geöffnet hat, können durchaus anziehend sein, stoßen wohl aber doch meist peinlich zurück. Zumal wenn sie aus dem Off kommen und der Zuschauer eine von hohen Bergplateaus eingefasste afrikanische Steppe vor Augen hat, die mit einem ähnlichen Suggestionspotential geschlagen wurde wie die Jungmädchenstimme selbst. Der seltsam anmutende Gongschlag, der diesen Film einläutete, hatte bereits das Seinige getan. Von dem Anfangsgeraune landet man dann aber doch recht schnell in einem lustig sich anlassenden Morgen in einem bayrischen Dorf, wo ein etwas kauziger, stets mit einem schwarzen Hut bewehrter Unternehmer um die 60 anfängt, seine Post zu sortieren, die natürlich – die Geschäfte laufen gerade nicht so gut – meist eine „Arschlochpost“ ist. Das ist sehr komisch, und niemand kann das so gut gebetsmühlenartig vortragen wie Josef Bierbichler. Es ist sein Film, das ist gut, aber leider ist es auch eine Ein-Mann-Show, denn kein anderer Akteur kann ihm das Wasser reichen, und leider ist das Drehbuch so geartet, dass man es noch nicht einmal als ganz passabel unerwähnt lassen kann. Das Drehbuch ist also sehr wirr, es wirkt nicht konstruiert, was ja vielleicht noch ganz interessant wäre, sondern einfach nur schlecht geklebt. Die Einfälle von Handlungselementen sind zufällig oder überhaupt nicht motiviert, das hat man schon zu oft zu schlecht gesehen, als dass man gewillt wäre, das als Konvention durchgehen zu lassen (zum Beispiel der Auftritt des Kenianers Kanabe mit dem verführerischen Geldangebot). Man könnte sagen: Beim Lotto gibt’s manchmal ja auch einen Gewinner. Nun, eben. Bierbichler alias Franz Brenninger ist aber nicht nur ein letztlich gescheiterter Unternehmer, sondern auch ein irgendwie zwar ganz einnehmender Mann, aber doch ein Patron einer Familie, der seine Frau (Hanna Schygulla) mehr tyrannisiert als neckt (was wiederum sehr lustig ist) und der seine Kinder, wenn’s denn sein muss, das heißt, wenn bei ihm selber die Kacke am Dampfen ist, an ihrem sensibelsten Punkt zu fassen vermag und damit jede Kritik als unangenehmste Retourkutsche expediert. Gerade in solchen Szenen zeigt sich, wie souverän dieser Schauspieler ist und wie er die Lust an der Sprechkanonade zu zelebrieren versteht. Sprechakttheoretisch gesagt: Jeder illokutionäre Akt schließt sein perlokutionäres Gelingen ein, was ja nicht selbstverständlich ist. Allein dieser lehrstückhaften Auftritte Bierbichlers wegen muss man diesen Film dann doch sehen. Ansonsten ist dieser Film wie gesagt wenig dazu geeignet, Beispiel gebend zu sein. Es geht mal wieder um viel Geld, wofür sich die Menschen auf die dümmsten Sachen einlassen, und in dem Moment, wo der Film zu Michael-Kohlhaas’scher Größe ansetzt, wird der Zuschauer auf eine falsche Fährte gelockt, denn nicht lange danach ist es schon wieder aus mit dem Traum vom Kampf ums Geld, und sobald die Szenerie den Kontinent gewechselt hat (man ist jetzt, Brenninger und seine Übersetzerin Leyla, in Nairobi), dümpelt der Film nur noch vor sich hin und weiß nicht, wie er enden soll. Und warum müssen die Leute immer heulen, wenn sie Schubert-Lieder aus der „Winterreise“ hören. Und leider wirkt der ruhelose Friedländer nicht halb so dämonisch wie Marlon Brandos Kurtz, der hier bei einer Szene vielleicht Modell gestanden hat. Der Film endet als halbes Happyend, und zum Schluss hört man sie wieder, die Jungmädchenstimmen, und jetzt, wo man das Nähkästchen etwas besser kennen gelernt hat, weiß man ganz sicher, dass die Stimmen dessen Schatten nie hätten verlassen sollen.
Dieter Wenk (07.06)
Hans Steinbichler, Winterreise, D 2006, Josef Bierbichler, Sibel Kekilli, Hanna Schygulla, Phillip Hochmaier, Anna Schudt, Johann von Bülow, André Hennicke u.a.