13. November 2006

Molekül als Steppe

 

Dass Professoren mitunter völlig langweilige Leben führen, haben wir ja schon immer geahnt. Vielleicht existiert seit langem eine geheime Liste, eine negative Rangliste der Fakultäten und der Fächer, deren Vertreter besonders betroffen oder Langeweile-anfällig sind. Es ist also vermutlich kein Zufall, dass der hier im Mittelpunkt stehende Professor namens Dingelam nicht Philosoph oder Künstler/Kunstprofessor ist, sondern Chemiker. Dieser Mann ist das, was man einen Fachidioten nennt, bei ihm stimmt die Chemie eben nur bei der Chemie, er hat eine Frau, die ihn eher langweilt, er verbringt die Wochenenden in einem bescheidenen Landhaus, weil es seine Frau so will, er kann nicht Auto fahren, lacht nie, und ist deshalb der prädestinierte Mann für den Nobelpreis, den er tatsächlich zuerkannt bekommt. Es will dabei aber nicht so recht Freude aufkommen bei dem Paar, denn die Gattin will erst mal wissen, wie viel Geld mit dem Preis verbunden ist, um dann festzustellen, dass man mit den 300.000 Gulden allerhöchstens drei Jahre leben könne. Etwas mehr Enthusiasmus kommt beim Nachbarn Lagerwij, einem Bauern, auf, der den hoch geehrten Wissenschaftler mit einem Hahn beschenkt, den er erst noch lebend vorbeibringt, damit Dingelam auch sehe, dass es das beste Stück auf dem Hof ist. Die beiden wollen das Tier aber gar nicht gebraten haben, und so überlässt ihn der schwatzhafte Bauer dem Paar, das ihn als Haustier mit in die Stadt nimmt. Für problemlos ablaufende Festivitäten hat sich Dingelam eine schlechte Zeit ausgesucht, denn es herrscht Studentenrevolte, und just zur Zeit der Ehrung in der Universität soll ein Streik im chemischen Seminar stattfinden. Nicht dass es mit irgendwem hier Mitleid gäbe, alle Figuren in diesem Roman sind völlig ungeeignet zur Identifikation, die Studenten sind blöd, im Grunde unpolitisch, weil sie politisches Anliegen nur vorschützen für die Party, die männlichen Studenten sind Schlappschwänze, und die Weibchen ein bisschen blaustrümpfig. Die übrigen Professoren haben andere Macken, deren Frauen sowieso. Man fragt sich die ganze Zeit, was man da überhaupt liest, eine Satire?, nein (es gibt wenig Gelegenheit zu lachen, es gibt zuwenig Differenz im Buch), eine Farce?, nein, dazu ist der Roman wiederum zuwenig extrem, zu bieder, zu belanglos, zu langweilig. Es gibt ziemlich lustige Campus-Romane, zum Beispiel David Lodges „Schnitzeljagd“, von dessen Tempo und von dessen Absurdität bei gleichzeitiger realistischer Nachvollziehbarkeit „Unter Professoren“ nur träumen kann. Eine Verfilmung dieses Buchs würde ich mir am ehesten vorstellen wie ein zehnmal zu lang geratenes Alex-von-Warmerdam-Sittengemälde, keine Frage, dass Hermans eine bestimmte Realität doch ziemlich authentisch eingefangen hat, aber für einen knapp 500-Seiten starken Roman ist das zu wenig. Die einmal angeschlagene Note hält sich bis zum Schluss durch, und sie nervt den Leser wie den Hörer von Terry Rileys „In C“, denn der stellt mit zunehmendem Grauen fest, dass die Note C tatsächlich in jedem Takt angeschlagen wird. So viel Konzept muss nicht mehr sein heute, und bis auf weiteres kann dieser Roman erst mal im Bücherregal verbleiben. Es gibt Besseres, auch von Hermans.

 

Dieter Wenk (10.02)

 

Willem Frederik Hermans, Unter Professoren. Roman, Zürich 1986 (1975)