4. Oktober 2006

Wider den Determinismus

 

David Cronenberg knüpft in “The Dead Zone” an ganz alte Geschichten aus der Zeit des Mythos an, in denen es um sonderbare Tauschaktionen geht. Den Täuschen gehen meist strafbare Handlungen von Menschen gegenüber Göttern voraus, so verliert Teiresias das Augenlicht, erhält aber die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen. Dagegen scheint in Cronenbergs Film der Lehrer John Smith einfach das Pech zu haben, im falschen Moment am falschen Ort zu sein, denn wem wollte man wirklich eine wenn auch penible moralische Einstellung zum Vorwurf machen? John Smith ist in eine Kollegin verliebt, die er heiraten möchte; die Ehe möchte er aber erst nach der Heirat „vollziehen“. Dieser feste Entschluss wird ihm, nachträglich gesehen, zum Verhängnis, denn trotz der Bitte seiner Freundin, bei ihr zu übernachten, trennt er sich und gerät mit seinem Auto in einen schlimmen Unfall. Fünf Jahre später wacht John aus dem Koma auf. Aus der unfreiwilligen Ruhepause bringt er eine seltsame Fähigkeit mit: Immer dann, wenn er Menschen die Hand gibt, zeigen sich ihm Bilder, die Katastrophen aus der nahen Zukunft zeigen, die mit diesen Menschen in Zusammenhang stehen. Der geheilte John ist somit ein Seher. Nachdem publik geworden ist, was John vermag, bekommt er viel Post. Alle verlangen seine Hilfe. Natürlich auch die Polizei, der es nicht gelingen will, einen Massenmörder zu fangen. Mit John als Medium gelingt die Aufklärung. Aber er ist bei all dem nicht glücklich. Denn er weiß, dass seine frühere Freundin längst verheirat ist und sogar einen Sohn hat. Sie wiederum weiß, was sie John schuldig ist, und so vollziehen die beiden nachträglich die „Ehe“, es ist mehr ein symbolischer als ein erotischer Akt, auch wenn dieser selbst nicht gezeigt wird, aber die anschließende Trennung geschieht ganz unsentimental, das Kapitel kann geschlossen werden. John zieht sich immer stärker in seine Privatheit zurück, er lebt in einer anderen Stadt, gibt Stunden als Privatlehrer. Seine übernatürliche Fähigkeit bleibt ihm. Er hat sogar Gelegenheit, eine interessante Abweichung festzustellen. Die fantasierten Bilder der Katastrophe müssen nicht völlig mit dem übereinstimmen, was in der Realität später geschieht. Es scheint also so etwas wie eine „tote Zone“ zu existieren, in der das Schicksal es vorzieht, die Karten nicht komplett auf den Tisch zu legen, vielleicht auch Manipulationsmöglichkeiten auf Seiten Johns oder der Beteiligten, irgendwie eine Kursänderung, zu bewirken. John bekommt ein weiteres Mal Gelegenheit, Bekanntschaft mit der „toten Zone“ zu machen. Er lernt zufällig einen Präsidentschaftskandidaten (Martin Sheen) kennen, dessen skrupelloses Wirken nicht nur in physiognomischer Umlage einen Hitler gebären würde. Da Hellseherei juristisch gesehen nicht von Belang ist, muss John selbst aktiv werden, ohne die absolute Gewissheit zu haben, dass seine Tat tatsächlich die Menschheit gerettet haben würde. Denn der Kandidat, würde er im Amt angekommen sein, brächte der Welt, so die Vision Johns, die atomare Katastrophe in Form eines Krieges. Und in dieser „toten Zone“ kommt nun der Held ganz bei sich an, denn erst jetzt erreicht er den Status eines Märtyrers, der ihm seit seiner Schlafphase vom Schicksal zugedacht war. Christopher Walken spielt sehr überzeugend, allerdings in einem doch sehr mäßigen Cronenberg.

 

Dieter Wenk (09.06)

 

David Cronenberg, The Dead Zone, USA 1983, Christopher Walken, Brooke Adams, Tom Skerritt, Martin Sheen