24. September 2006

Gender-Schach

 

Wer die aktuelle Ausstellung im Museum Ludwig in Köln besucht, erhält zur Eintrittskarte noch ein Buch in die Hand gedrückt. Keinen Katalog, sondern einen Erzählungsband von Thomas Meinecke. "Feldforschung" steht darauf und geforscht wird im "achten Feld", auf dem sich beim Schachspiel der Bauer, der es bis dahin schafft, in die zuvor geschlagene Dame verwandelt. Der schwache Mann wird zur starken Frau mit schlagkräftigeren Zügen. Eine schöne Metapher für die Thematik, um die es geht: Grenzgebiete sexueller Zuschreibungen und Rollenwechsel jenseits des heterosexuellen Mainstreams: Trans-, Homo- und Intersexualität, Transgender und Travestie. "Präsentation und Geschlechter, Leben und Begehren in der bildenden Kunst seit 1960", so der Untertitel der Ausstellung. Meinecke fängt in seinen Erzählungen allerdings schon früher an. Die erste Erzählung widmet sich der "Queen of Sex" Mae West, die bereits Mitte der 20er Jahre ein Schwulen-Bühnenstück mit dem Titel "Sex" produzierte. Weitere Geschichten behandeln die Stonewall Riots, die Hochzeit zwischen Robert Mapplethorpe und Patti Smith und einen 2000 stattgefunden tragischen Zwischenfall, der, wenn es nicht zu ernst wäre, wunderbar als Stoff für eine Klamotte herhalten könnte. Der alkoholkranke Vietnam-Veteran Gay schoss in einer Schwulen-Bar wild um sich, weil er den allgemeinen Sprachgebrauch von "gay" als "schwul" statt wie ursprünglich als "fröhlich" nicht ertrug. Seine Kinder benannten sich übrigens später um. Meinecke geht bei all diesen Geschichten mit kindlicher Neugier den Gerüchten nach, die sich in und um die Subkultur und deren Vorbilder sexueller Emanzipation gebildet haben, mit nüchterner, exakter Sprache und mit Witz. Die wechselnden Bezüge und der Materialreichtum machen es dem Leser nicht immer einfach, aber wieso sollte es auch einfach sein, das Thema ist und bleibt nun mal unübersichtlich und spannend.

 

Gustav Mechlenburg

 

Thomas Meinecke: Feldforschung, Suhrkamp 2006, 143 Seiten, 8,50 EUR, gratis beim Eintritt in die Ausstellung "Das achte Feld" im Museum Ludwig, Köln (bis 12. November 2006)

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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