13. September 2006

Adult und korrekt

 

Lange Zeit schienen die Comics in den Kinderschuhen stecken geblieben zu sein – buchstäblich: Comics, in denen Kinder wie „The Yellow Kid“, „Little Nemo“ die Protagonisten waren, wurden vor allem auch von Kindern gelesen und von den Erwachsenen – zunächst – nicht für voll genommen. Daran änderten auch die Superhelden wenig, die nichts anderes waren, als die Allmachtsfantasien kleiner Buben. Wer als Erwachsener Comics las, musste sich dem Verdacht der Infantilität gefallen lassen. Allenfalls verpickelte Nerds mit Brille und Karohemd sammelten Heft um Heft und konnten mit einem erschreckenden Leuchten in den Augen sämtliche Comic-Jahrgänge sowie verwinkelte Superhelden-Dynastien lückenlos aufzählen. Das alles hat sich, ausgelöst durch den Independent-Boom seit den 80ern, für den Spiegelmans „Maus“ symptomatisch ist, stark geändert.

 

Comics sind nicht nur den Kinderschuhen entwachsen, sie befinden sich zurzeit in einem Zustand des „Coming of Age“ (auch „Maus“ lässt sich als Bar-Mizwa-Geschichte seines Erzählers lesen): Die größte Gruppe der Comic-Leser sind die 30-something, die sich selber immer noch als jugendlich wahrnehmen; allmählich (aber immer noch viel zu zögerlich) entdecken Buchhandlungen und Feuilletons das lange Zeit verachtete Medium, das mittlerweile immer neue Erzählformen ausprobiert und sich in seinen „Graphic Novels“ postmoderner gibt, als viele Gegenwartsromane es sich zu sein trauen; und, vor allem: Die Comic-Helden sind keine Kinder mehr, aber auch noch nicht so richtig erwachsen. Davon zeugt vor allem neben den Protagonisten Dan Clowes, Chris Wares, Lewis Trondheims „Herrn Hase“-Clique oder auch den Arbeiten hiesiger Autoren wie Arne Bellstorf und Sascha Hommer die wahre Flut der autobiografischen Comics der letzten Jahre, Craig Thompsons „Blankets“, die Wiederauflage von Nakazawas „Barfuss durch Hiroshima“ sowie Marjane Satrapis Bestseller „Persepolis“. Die Formel für den erstaunlichen Erfolg dieser Werke scheint, besonders bei den letztgenannten, in der Verbindung von Kindheits-Topoi, in die sich der Leser leicht einfühlen kann, mit historischer bzw. politischer Aufklärung zu liegen.

 

Nach dieser Formel funktioniert auch Karlien de Villiers „Meine Mutter war eine schöne Frau“. Erzählt wird die Geschichte einer weißen Familie in Südafrika während der Zeiten der Apartheid. Vor dem Hintergrund der „Großen Geschichte“ der ethnischen Komplexität Südafrikas, wo Inder und Coloureds gegenüber den Schwarzen bevorzugt wurden, sowie der politisch instabilen Lage Südafrikas in den 80ern, wird die „Kleine Geschichte“ eines Familiendramas entwickelt, so wie es sich letztlich überall ereignen könnte: Die Eltern der Ich-Erzählerin, der kleinen Karla, und ihrer Schwester lassen sich scheiden, die Schwestern bleiben bei ihrer Mutter, die an tödlichem Lungenkrebs erkrankt, leiden an ihrem überstrengen Vater und durchleben die üblichen Stationen der Pubertät. In der Rahmenhandlung kehrt die Ich-Erzählerin nach langer Zeit wieder nach Hause und muss erkennen, dass ihr ihr Vater wie auch ihre Schwester fremd geworden sind. Im Vergleich zu Karlien de Villiers erfolgreichen Kollegen, insbesondere Marjane Satrapai, stechen die Defizite des Buches ins Auge: Die Möglichkeit für ein internationales Publikum, etwas über die hierzulande immer noch viel zu wenig bekannte komplizierte Geschichte Südafrikas zu erfahren, reduziert sich auf einige Andeutungen, die aber wie die Terroranschläge in Pretoria zu unausgeführt bleiben, als dass sie tatsächlich informieren würden; die Stationen der Kindheitsgeschichte der Ich-Erzählerin mit ihren Problemen in der Schule oder mit der neuen Frau ihres Vaters wirken zwar durch die kindliche Perspektive ironisch-liebevoll gebrochen und atmosphärisch dicht, erscheinen aber bis auf die an die Nieren gehende Schilderung der Krebserkrankung der Mutter oft als zu austauschbar, als dass sie wirklich im Gedächtnis bleiben würden.

 

Dennoch: Die Zielstrebigkeit der Erzählung, der nie der Blick für nette Details abhanden kommt, sowie insbesondere der Zeichenstil – der eigentliche Trumpf des Buches –, der in seiner Flächigkeit, seinen starken Konturen und nicht zuletzt mit seinen fast grellen Farben die deutschen Lesern entfernt an Jim Avignon erinnern mag, machen „Meine Mutter war eine schöne Frau“ zu einer kurzweiligen (wenn auch deprimierenden) Lektüre, einem der wenigen Comics zudem, der in Afrikaans geschrieben wurde.

 

Thomas von Steinaecker

 

Karlien de Villiers: Meine Mutter war eine schöne Frau. Arrache Coeur / Edition Moderne 2006

 

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