Zweimal plus gibt minus
Dies ist kein Film über Männer bei der Freiwilligen Feuerwehr. Und auch keiner über den Frauenchor Zühlen. Wie ein Spielfilm sieht „Sehnsucht“ aber auch erst mal nicht aus. Und doch ist der einzige Stoff dieses Films das Feuer der Liebe. Ziemlich am Anfang sieht man den Schlosser Markus an einem Teich stehen. Vielleicht denkt er gerade darüber nach, wie viele Feuer man mit dem Wasser löschen könnte, denn er ist bei der Freiwilligen Feuerwehr. Aber vielleicht träumt er auch nur, und die Frau, von der er träumt, ist nicht die Frau, die sich gleich zu ihm gesellt, Ella, seine Ehefrau. Die beiden haben einen etwa 7-jährigen Sohn, kennen sich schon ewig, und Ella ist immer noch so verliebt wie am ersten Tag. Diese Blicke, diese Huldigung, dieses Bekenntnis, dass sie ihn liebt. Wenn die Kamera auf Markus geht, ganz dicht dran – so auch die Standardeinstellung gegenüber den Personen –, dann weiß man erst mal gar nichts. Was geht in ihm vor? Ist er ebenso erfüllt wie Ella? Es ist ein seltsames Gesicht, wurzelig, erdig, aber auch ein bisschen falsch aufgehängt, die kurze Oberlippe, ein Gesicht, das man sofort im Osten Deutschlands verankert. Wortkarg sind sie beide. Die Gefühle spannen sie in ihre Blicke ein, und das ist nicht immer beruhigend. Aber zunächst lernt man die Freiwillige Feuerwehr etwas besser kennen. Die kleine Gruppe folgt einer Einladung der Freiwilligen Feuerwehr der Kreisstadt. Man tauscht Geschenke aus und beginnt zu trinken. Am nächsten Morgen wacht Markus in einer fremden Wohnung auf. Er ist bei Rose, einer der Kellnerinnen, gelandet, kann sich aber an nichts mehr erinnern. Zu Hause muss er oft an sie denken. Einmal besucht er sie heimlich. Roses Gesicht ist ein einziger Wellengang aus Bangigkeit, Zuneigung, Scham und Liebe. Kein professioneller Schauspieler würde das so hinkriegen. Am ehesten noch Angela Winkler. Wenn man kurz danach wieder Markus und Ella sieht, wie sie anfangen, miteinander zu schlafen, hat auch das wenig damit zu tun, was man in solchen Szenen aus Fernsehen und Kino kennt. Es hat etwas von einer Vergewaltigung, die von einer Frau ausgeht und unter der Hand den Akteur wechselt. Das ist ziemlich eindrucksvoll. Leidenschaft, die zu einem gewissen Teil auf Panik zurückgeht. Panik der Frau, die merkt, dass der Spiegel, also Markus, die Bilder nicht mehr ordentlich zurückwirft. Im Schutz des Tageslichts sagt Markus dann, nicht, was wirklich los ist, aber was er angeblich braucht, Einsamkeit. Etwas später stürzt Rose, im Beisein von Markus, von ihrem eigenen Balkon. Ella, die alles erfährt, zieht sich zurück. Plötzlich ist Markus allein, denn auch Rose, die im Krankenhaus ist, will erst mal nichts von ihm wissen. Dann kommen die besten Szenen des Films. Markus mit dem Kaninchen, das gibt ein bisschen Trost, und dann hält er es so wie bei diesem Kippbild, wo man entweder ein Kaninchen oder eine Ente sieht, die Ohren als Schnabel und umgekehrt, und plötzlich hat Markus eine Flinte in der Hand, die er lädt und auf sich richtet, entsichert, doch vom Scharren des Kaninchens im Käfig zurückgebracht wird, fürsorglich wendet er sich dem Kaninchen zu, dem er zu Essen gibt, die Ente ist ganz weg, und dann ist sie doch wieder da, denn im nächsten Moment liegt Markus erschossen auf dem Boden. Markus ist nun selbst ein Selbstmörder, denn der Kreis schließt sich, ganz zu Beginn des Films half Markus einem verunglückten Mann, der eigentlich gemeinsam mit seiner Frau sterben wollte, aber durch die Hilfe von Markus überlebte. Vielleicht war es in Markus’ Fall das ihn etwas ablenkende Kaninchen, denn Markus überlebt den Schuss. Am Ende erzählen sich Kinder die Geschichte von Ella und Markus und Rose, als ob es ein Märchen wäre, von Romeo und Julia auf dem Lande, und dass es sogar als Happyend gewissermaßen weiterging. Ein irgendwie burschikoser Film.
Dieter Wenk (08.06)
Valeska Grisebach, Sehnsucht, D 2006, Andreas Müller, Ilka Welz, Anett Dornbusch