25. August 2006

Die autobiografischer-Comic-Falle

 

Marjane Satrapis zweibändige Autobiografie „Persepolis“ hat Comic-Geschichte geschrieben. Wie in Spiegelmans „Maus“ wurde hier souverän ein höchst komplexer politischer Zusammenhang durch die authentische Atmosphäre eines Lebenslaufes einem westlichen Publikum anschaulich gemacht – eines Lebenslaufes zudem, der eine gebrochene und spezifisch comichafte Perspektive auf das Geschehen einnahm: dort durch die Fabel, in der die Juden zu Mäusen wurden, hier durch den Blick eines heranwachsenden Mädchens. Wo aber „Maus“ allein schon durch Spiegelmans nervöse Linien und seinen verschachtelten discours jedem Verniedlichungsfaktor entgegenwirkte, da lief die Autobiografie Satrapis, deren Ursprünge als Kinderbuchautorin in ihren flächig-reduzierten Zeichnungen erkennbar waren, manchmal Gefahr, der jüngsten Geschichte des Iran etwas von ihrem Schrecken zu nehmen. Denn „Persepolis“ war vor allem eines: Umwerfend charmant gezeichnet und erzählt. So funktionierte der Kinderzeichenstil Satrapis denn auch dann am besten, wenn es um die Beschreibung des Alltagslebens der jungen Erzählerin in dem „bösen“ Staat Iran ging. Das unerträgliche Grauen der Folterkammern und der Schmerz der durch das Exil auseinander gerissenen Familien verwandelten sich in den Augen des Kindes freilich schlimmstenfalls in surreale Albtraumszenen, die in ihrer ornamentalen Stilisierung an David B. erinnerten, oder in eine leichte Melancholie, die in ihrer aus Kinderbüchern oder auch Filmen bekannten Ikonizität allerdings nie wirklich schockierend wirkte: Die „Persepolis“-Comics waren letztlich gut konsumierbare Kost, die den (westlichen) Leser nicht verstörten, sondern mit dem guten Gefühl entließen, auf hohem Niveau unterhalten geworden zu sein und zudem etwas gelernt zu haben. Satrapi hatte mit ihrem Erstling so etwas wie ein Sub-Genre des autobiografischen Comics kreiert: den autobiografisch-feministischen-Coming-of-Age-Ich-komme-aus-einem-exotischen-und/oder-diktatorischen-Land-Comic.

 

 

Die Frage, die sich nach dem Millionenerfolg von „Persepolis“ stellte, war freilich, inwieweit die Autorin nun Opfer ihrer eigenen Schöpfung werden würde, oder simpel gesagt: ob Satrapi auch etwas thematisch anderes auf einem ähnlichen Niveau zustande bringen würde. Die Nachricht, dass sie nun an einer Filmversion ihrer Bücher arbeite, ließ daran nicht nur zweifeln, sondern auch eine Verstärkung der kommerziellen Elemente ihrer Comics im anderen Medium befürchten. Nach dem Band „Sticheleien“ mit Alltagsgeschichten iranischer Frauen, der aber eher Skizzensammlung als ausgearbeitetes Buch war, ist nun ein neuer Comic Satrapis erschienen. „Huhn mit Pflaumen“ erzählt die Geschichte des Lautenspielers Nasser Ali Khan, der im Teheran der 50er Jahre beschließt, sich hinzulegen und auf seinen Tod zu warten, nachdem seine Frau im Streit sein geliebtes Instrument zerbrochen hat. In den letzten acht Nächten seines Lebens, in denen er sogar seine Lieblingsspeise, „Huhn mit Pflaumen“, verweigert, lässt er die Vergangenheit Revue passieren – seine unerfüllte Liebe zu einer anderen Frau, seine Zweckheirat, seine Probleme in der Schule und mit seinen Eltern wegen seiner Leidenschaft für die Musik. In gewisser Weise lässt sich „Huhn mit Pflaumen“ als Fortsetzung des autobiografischen Projekts Satrapis verstehen: Khan ist ihr Großonkel gewesen, Satrapi selbst hat einen Kurzauftritt – und dennoch ist dem Buch anzumerken, dass es mehr sein könnte als ein Spin-off oder die bloße Wiederholung eines Erfolgrezeptes. Zwar hat sich der am Kinderbuch orientierte Zeichenstil Satrapis und die Verbindung von individuellen Schicksalen mit der iranischen Geschichte nicht geändert. Auch hier gibt es Widerständler, die für ihre Überzeugung ins Gefängnis gehen, erfährt der Leser vom von der CIA inszenierten Sturz Mossadeghs 1951 – das alles geschieht aber nur am Rande und ist teilweise durch erklärende Fußnoten eingefügt. Im Mittepunkt steht eine Geschichte, die nicht von ungefähr an „1001 Nacht“ und dessen lebensverlängernden Erzählungen erinnert: Verwandelte in „Persepolis“ die Kinderperspektive die Welt in Poesie, so trägt hier die Wirklichkeit von Haus aus bereits märchenhafte Züge, in der sich nikotinabhängige Frauen in Rauch auflösen und am Ende gar der Tod persönlich auftritt. Hinter der auf den ersten Blick charmanten Oberfläche verbirgt sich aber eine an sich buchstäblich todtraurige Geschichte – die der gescheiterten Existenz eines Mannes, der nichts mit seiner kunstfeindlichen Umwelt anfangen kann und dem deshalb die Freude am Leben genommen wird. „Huhn mit Pflaumen“ ist bittersüße Kost.

 

 

Am Ende der Lektüre bleibt jedoch ein etwas schaler Nachgeschmack zurück. Bis auf den melancholischen Protagonisten sind alle Nebenfiguren etwas blass geraten oder wirken sogar, wie im Fall des Sohnes Khans oder seiner Frau, ärgerlich platt. Zudem schnürt das abrupte Ende der Geschichte den epischen Atem ab, der ihr anfangs noch zu eigen war. Das alles ändert freilich nichts daran, dass „Huhn mit Pflaumen“ zwar zeichnerisch keine Weiterentwicklung gegenüber „Persepolis“ darstellt, dafür aber amüsant sowie mit seinen Flashbacks und Vorausschauen kunstvoll verschachtelt erzählt ist. Und was langfristig für Satrapi noch wichtiger sein mag: Das Buch zeigt, dass es sehr wohl Perspektiven nach dem erfolgversprechenden autobiografischen Schreiben gibt – und die sind märchenhaft.

 

Thomas von Steinaecker

 

Marjane Satrapi: Huhn mit Pflaumen. Edition Moderne 2006

 

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