29. Juli 2006

Self-made-man, dann doch

 

Bislang, so scheint es jedenfalls, hat es über den Verbrecher-Verlag noch keine Klagen gegeben. Klagen im juristischen Sinn. Das wird wohl auch weiter so bleiben, auch wenn der Verlag nun eine Buchreihe unter dem ungewöhnlichen Namen „Die Sore“ mit Weerths Roman beginnen lässt, die – so der Verlag – „Texten aus vergangenen Jahrhunderten“ gewidmet werden, „die zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind.“ Sore ist ein Terminus aus der Gaunersprache und meint „gestohlene oder geplünderte Ware“. Natürlich ist Georg Weerths Feuilletonroman „Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski“ alt genug – er wurde 1848/49 zunächst in der Neuen Rheinischen Zeitung, 1849 auch in Buchform veröffentlicht –, um ohne urheberrechtliche Probleme wiedergedruckt zu werden. Wahr ist allerdings, dass Georg Weerth nicht der Erfinder dieser Romanfigur ist. Den Ritter Schnapphahnski kennt der Leser vielleicht aus Heinrich Heines Versepos „Atta Troll“, in dem die historisch verbürgte Person des Felix Fürst von Lichnowsky aufs Korn genommen wird. Diesen wiederum kennt der Leser eventuell aus Rilkes „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“, in denen verständlicherweise eher das tragische Ende des „schönen“ Fürsten erwähnt wird. Auf der gegenüberliegenden Seite des l’art pour l’art sehen die Dinge natürlich anders aus, und es heißt die Dinge beim Namen zu nennen, Lichnowsky als einen üblen Reaktionär zu bezeichnen, der dieser Einstellung sein bitteres Ende verdankt – er wurde von aufständischen Arbeitern 1848 gelyncht. In diesem Sinn mag man also Georg Weerth als Plünderer in bester, nämlich aufklärerischer Absicht bezeichnen, und er versteckt sich dabei in keiner Weise, der Bezug auf Heine ist von Anfang an klar, denn Heine ist Weerths Held. Warum aber kennt man heutzutage noch Heine zumindest vom Namen her, Georg Weerth aber nicht? In der DDR gab es neben der fünfbändigen Gesamtausgabe eine zweibändige Weerth-Ausgabe in der Reihe „Bibliothek deutscher Klassiker“, im Westen fand man hier und da ein Gedicht in Schulausgaben, aber ansonsten firmierte „Weerth“ generisch als Vertreter des „Jungen Deutschland“ in der Zeit des Vormärz, früher Vertreter einer Literatur, die man später „littérature engagée“ nannte. Weerths Engagement für die Literatur war zudem zeitlich begrenzt, die fünf Jahre literarischer Produktion zwischen 1844 und 1849 wurden durch seine kaufmännische Tätigkeit eingerahmt; als 1849 die Neue Rheinische Zeitung ihr Erscheinen einstellen musste, gab es auch für Weerth als Redakteur des Feuilletons dieses linksliberalen Blatts nichts mehr zu tun. Die Hoffnungen auf bessere Zeiten in Deutschland hatten sich nicht erfüllt. Doch bevor Weerth seine kaufmännische Tätigkeit wieder aufnehmen konnte, musste er erst einmal für drei Monate ins Gefängnis, und das hatte mit seinem Roman über jenen Ritter zu tun, denn Weerth handelte sich mit dem Feuilletonabdruck nach einigen Kapiteln eine Verleumdungsklage ein, trotz Romanetikett glaubte man zu deutlich das Porträt des Fürsten Lichnowsky durchschimmern zu sehen. Weerth stellte kurzzeitig den Weiterabdruck ein, was man als Schuldgeständnis wertete. Anders als viele seiner fortschrittlich eingestellten Kollegen ging Weerth, aus beruflichen Gründen seiner Kaufmannsexistenz, nicht ins Exil, er saß tapfer seine Gefängnisstrafe ab und dankte als Autor ab. Weerths Ritter Schnapphahnski ist eine Hochstaplerfigur. Mit solchen lässt sich literarisch unterschiedlichst umgehen. „Schnappi“ ist keine Felix-Krull-Figur. Weerths Ansatz und Interesse ist Entlarvung. Der Roman ist deshalb eine Satire mit Tendenzen in Richtung Groteske. Weerth führt vor. Und der Leser merkt schnell, wo es lang geht. Anspruch und Wirklichkeit des Ritters liegen weit auseinander. Er ist feige, kein echter Liebhaber, ein Aufschneider, ein Duckmäuser, ein berechnender Mensch. In 22 Kapiteln wird das durchgespielt. Die starken Redundanzen mögen dem Zeitungsformat geschuldet sein. Das größere Problem heute sind aber vermutlich die starken Beteiligungen des Erzählers, die in eine Art Bewertungsvormundschaft hinauslaufen. Fast bekommt man Lust, den Roman gegen den Strich zu lesen und den Erfindungsreichtum des Ritters und die geballte Ladung Leben des charakterlich sicherlich nicht mustergültigen Junkers zu loben. Insgesamt kann der Roman heute nicht mehr so recht überzeugen, um so mehr Spaß macht das zehnseitige Nachwort, das den Komplex auf das rechte Format zusammenschnurren lässt. Manchmal schlägt Literaturgeschichte Literatur.

 

Dieter Wenk (07.06)

 

Georg Weerth, Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski. Roman, Berlin 2006 (Verbrecher)

 

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