24. Juli 2006

Entdeckungen im Haus der Sprache

 

Wird der Text, den man schreibt, das gewesen sein, was man sagen wollte? Ob mündlich oder schriftlich? Ist das, was man sagen will, das, was man meint oder das, wie es eben da steht? Aber was steht denn da? Nichts als Wörter. Ist ihnen die Anleitung zum Verstehen schon beigegeben? Wie gelangt man denn von den Wörtern zu den Dingen, die nicht im Text stehen und nicht im Gespräch gezeigt werden können? Novalis’ „Monolog“, der nur eine Seite lang ist und doch eine ganze Sprachtheorie und noch einiges mehr in sich trägt, beginnt gleich mit einer Provokation: „Es ist eigentlich um das Sprechen und Schreiben eine närrische Sache; das rechte Gespräch ist ein bloßes Wortspiel.“ Diese radikale Bestimmung von Sprache, die im Weiteren so klug ist, dass sie darüber nachdenkt, was es heißt, wenn sie auf sich selbst angewendet wird, zieht jeder selbstgerechten Verurteilung anderer, sie würden einen „Jargon der Eigentlichkeit“ pflegen, den Boden unter den Füßen weg. Eigentlich, so die Bestimmung, bleibt das Wort immer schon bei sich, um mit sich und anderen zu spielen. Wo sollten da noch die Dinge Platz haben, um deren willen zu sprechen und zu schreiben die Leute den Mund aufzumachen glauben? Novalis stellt die Dinge auf den Kopf, so scheint es. Haben wir nicht alle gelernt, dass es im Sprechen um Kommunikation geht (das Wort kommt bei Novalis nicht vor)? Dass wir etwas mitteilen wollen? Und dass diese Mitteilung aus zwei Teilen besteht, einmal aus der Hinwendung zum Gesprächspartner, der dadurch auf uns aufmerksam wird, und aus dem, was wir mitteilen wollen, also den Inhalt. Wäre es deshalb nicht närrisch, unterschlagen zu wollen, uns ginge es um die Dinge? Würden wir nicht ständig in der Luft hängen und uns vor lauter Unsinn oder Nichtsinn, den wir uns gegenseitig zumuten, möglichst schnell wieder voneinander trennen? Aber vielleicht sollte man sich durch Novalis’ Bestimmung des „rechten Gesprächs“ nicht vorschnell beleidigen lassen. Denn vielleicht steckt darin ja eine geheime Nobilitierung von Sprache, und das „Wortspiel“ brächte ungeahnte Früchte? Und wir hätten doch wieder die Möglichkeit, anderen ihren „Jargon der Eigentlichkeit“ vorzuwerfen, dann nämlich, wenn sie genau auf die Eigentlichkeit abzielten, wo doch nur die Anheimstellung an die Sprache selbst und ihre Ordnung den rechten Benutzer auszeichnen würde. Novalis bezeichnet die Sprache als launig. Das heißt, sie führt ein Eigenleben, das der Benutzer nicht beherrschen kann. Er kann sich umgekehrt nur dieser Laune aussetzen. Das sind schlechte Auskünfte für Rhetoriker. Gerade der bewusste Akt der Zähmung lässt diese Leute „das lächerlichste und verkehrteste Zeug sagen“. Wer dagegen die Zügel der Sprache fahren lässt, etwa beim vermeintlich „verächtlichen Schwatzen“, hat gute Chancen, dadurch die „unendlich ernsthafte Seite der Sprache“ zu zeigen. Verkehrte Welt. Sprache ist kein Organ der Mitteilung, sondern liegt vielmehr auf der Seite mathematischer Formeln, die es nur mit sich selbst zu tun haben. Aber Novalis wäre kein Romantiker, würde er es bei der hart markierten Grenze von Mathematik und Sprache auf der einen und Dingen und Welt auf der anderen bewenden lassen. Ob Formelspiel oder Wortspiel, im rechten Arrangement der Elemente kommt etwas zum Ausdruck, das gerade nicht in ihre Marken eingeschrieben ist und das sich gewissermaßen nur im Spiel ihrer freien Bewegung zeigt: nichts anderes als das schon verabschiedete „seltsame Verhältnisspiel der Dinge“. Das eine Spiel bringt das andere hervor. Novalis redet keinen fixen Entsprechungen das Wort. Vielmehr wird man erst nachträglich sagen können, dass eine „Spiegelung“ stattgefunden hat, über deren ephemeren Charakter man vielleicht traurig sein kann, der aber schon wieder den nächsten begeisterten Einsatz auslösen mag. Nur der wird ein „Prophet“ sein, der sich des „instrumentellen“ Charakters von Sprache begibt und sie als „ästhetisches Objekt“ begreift. Sprache als Musikinstrument, als Partitur, Klaviatur, nur im Bewusstsein dieser Einstellung, dieses Respekts gegenüber der Eigengesetzlichkeit von Sprache, die für den, der Ohren hat zu hören, schon sagen wird, wohin der Weg führt, ist es möglich, zu einer momentanen Enthüllung der Welt beizutragen, die aber gleich schon wieder einen Schritt weiter ist. Das heißt aber nichts anderes, als dass man dranbleiben muss, man muss der Sprache auf der Spur sein, man muss sich ihr leidenschaftlich widmen, um der Gefahr zu entgehen, man wüsste immer schon, was sie überhaupt nur sagen kann. Und das Manifest, das Novalis unter der Hand geschrieben hat, hat er vielleicht in der Tat schreiben wollen, aber nur in dem Maße, als dieser Wille sich als Sozius der Sprache begreift, konnte er gar nicht anders, als das zu notieren, was die Sprache selbst ihm eingegeben hat. Novalis war vielleicht der erste und einzige, der ein Manifest nur für und an sich selbst geschrieben hat. Ein Akt, sich von sich selbst als einem Schriftsteller zu überzeugen, ja zu überreden: „Und so wär ich ein berufener Schriftsteller, denn ein Schriftsteller ist wohl nur ein Sprachbegeisterter?“ In späterer Zeit wird der Autor zu Grabe getragen (der im Sinne Poes, nicht der des Novalis); Novalis begräbt hier schon den Leser, der nicht mitspielt.

 

Dieter Wenk (07.06)

 

Novalis, Monolog, Die Lehrlinge zu Sais u.a., Reinbek bei Hamburg 1983 (Rowohlt)