9. Juli 2006

Wenn Professoren träumen

 

Manchmal weiß man nicht, wann die Verpackungen aufhören, siehe die russischen Puppen. Interessanter und spannender ist es, wenn man nicht weiß, wann das Verpacken anfängt. Und man plötzlich merkt, dass man etwas geschenkt bekommen hat, zum Beispiel, wie in Fritz Langs „Gefährliche Begegnung“, eine Komödie. Es gibt hier also mal wieder die schöne Struktur zu bestaunen, wonach ein Film ein und dieselbe Sequenz durchläuft, nur auf einer anderen Realitätsebene. Anders aber als in dem im gleichen Jahr realisierten „Spellbound“ (Ich kämpfe um dich) von Hitchcock, für den Dalí die Traumbilder authentisch zu gestalten versuchte, sieht bei Fritz Lang, ein wenig langweilig, wenn man es später merkt, der Traum genauso aus wie das normale Leben auch. Dabei ist das, was dann in der langen Traumsequenz passiert, natürlich alles andere als langweilig, im Gegenteil. Die extrem starke sekundäre Bearbeitung, die der Traum erfährt und ihn der Realität angleicht, ist wohl der Tatsache geschuldet, dass den Traum ein Universitätsprofessor träumt, dem bei allem Wunsch nach Abenteuer die Zügel nicht aus der Hand gleiten, und der Verlauf des Traums die Richtung eines Krimis nimmt, was bei einem Professor für Krimimalpsychologie ja recht nahe liegt. Für den Zuschauer sieht das alles also erst einmal wie aus einem Guss aus. Richard Wanley, besagter Professor, verabschiedet seine Frau und seine beiden kleinen Kinder, nachdem er Vorlesung gehalten hat vor einer Tafel stehend, auf der in dicken Buchstaben der Name Sigmund Freuds prangt und Wanley über Tötung und Schuld spricht, in den Urlaub. Etwas später sieht man ihn vor einem Gemälde einer Frau versonnen stehen. Zwei Freunde Wanleys ziehen den frischen Strohwitwer damit auf und nehmen ihn dann rasch mit in den Herrenclub. Als Wanley den Herrenclub verlässt, zieht es ihn wieder zu dem verführerischen Porträt der Schönen, die plötzlich, wie aus dem Nichts, auftaucht und den Professor in ein ungezwungenes Gespräch verwickelt. Sie nimmt ihn mit nach Hause. Kurze Zeit später ist die Hölle los. Ein Freund der Schönen taucht auf und stürzt sich auf Wanley. Diesem bleibt keine andere Wahl, als erwürgt zu werden oder sich zur Wehr zu setzen. Die Schöne reicht ihm galant eine Schere, mit der Wanley den Aggressor abwehrt. Leider ist der jetzt tot. Die beiden Überlebenden einigen sich darauf, alle Spuren zu verwischen und sich gütlich für immer zu trennen. Wanley karrt den Freund weg, und das würde es dann gewesen sein. Natürlich kommt alles ganz anders. Schon der Abtransport der Leiche gestaltet sich schwierig. Dann ist auch noch, nachdem man die Leiche gefunden hat, der ermittelnde Inspektor eben einer der Freunde, die Wanley vor dem Porträt der Frau entdeckt hatten. Als dessen Begleiter schaut Wanley gewissermaßen zu, wie die Spuren sich immer mehr verdichten und seine eigene Tollpatschigkeit und Gesprächigkeit so manchen Hinweis auf ihn selbst als Täter liefern. Dann werden die Schöne und der Professor auch noch vom Leibwächter des Toten erpresst. Der Bösewicht ist aber zugleich auch der Retter, denn er wird kurze Zeit später von der Polizei erschossen. Ein, zwei Dinge, die man bei ihm findet, weisen ihn als Mörder seines eigenen Schutzbefohlenen aus. Dann erwacht der Professor. Es ist halb elf abends, ein Diener des Herrenclubs kam gerade seinem Auftrag nach und weckte den Professor, der über der Lektüre des alttestamentarischen Hohen Liedes eingeschlafen war. Sein Abenteuer mit der Schönen hat nur im Traum stattgefunden. Komödiantisch geht der Film zu Ende. Wanley bleibt ein zweites Mal vor dem Porträt stehen, und erneut nähert sich ihm eine Frau, diesmal jedoch nicht die Porträtierte selbst, als Traumfrau, sondern eher eine Dame aus der Halbwelt, die ihn ganz prosaisch um Feuer bittet. Davon hat Wanley jetzt genug, er lehnt empört ab und flieht. Aus der Traum.

 

Dieter Wenk (06.06)

 

Fritz Lang, Gefährliche Begegnung (The Woman in the Window), USA 1945, Edward G. Robinson, Joan Bennett, Ramond Massey