27. Juni 2006

Das Krokodil

 

Da-Ponte war Mozarts Librettist, einer seiner Ethymspender, Projekte hatte Mozart selbst genug im Kopf. Vollbeschäftigt, multitoxisch, größenwahnsinnig, eitel wie ein Pavian. Ich ist eines von vielen. Ja richtig, immer noch ist Mozartjahr.

 

Herbert Lachmayer ist Gründer und Vorstand des Da-Ponte-Instituts für Librettologie, Don-Juan-Forschung und Sammlungsgeschichte, er hat einen fünf Kilo schweren Katalog zu Mozart herausgebracht. Als Sachwalter eines Librettisten beherrscht er die Situation, ein „Krokodil“ – so Nikolaus Harnoncourt über Mozart – textförmig zu fassen, mit Eleganz.

 

Sein ausführlicher Katalogtext zu Mozart steht krass ab von den somnambul matten Heiligsprechungen, dem Gesäusel über das ungeheure Genie. Lachmayers Bemerkungen zur Situation des ausgehenden 18. Jahrhunderts erlauben tatsächlich den Vergleich mit zeitgenössischer Lebens- und Kunstauffassung. Wo hat sich in der letzten Zeit einmal einer im Zusammenhang mit Mozart über den „schwachsinnigen Autoritätsdruck paternalistischer Gesellschaften“ ausgelassen oder über das „Identitätscontrolling einer monosequentiellen Lebens- und Berufskarriere“ gesprochen. Lachmayer versteht zu schreiben, und nur ganz selten hat man den Eindruck, er liegt daneben mit einer Benamselung, denn „Technofreaks“ gibt es nicht mehr, aber seine Spiegelung des Experiments Aufklärung in die Postmoderne funktioniert.

 

Er formuliert so knapp und treffend wie nur möglich: Das 18. Jahrhundert als „schamlose Schamgesellschaft“ und das 19. Jahrhundert als „latent therapiebedürftige Schuldgesellschaft“ mit nagelneu erfundenem Über-Ich charakterisierend, die Erfindung der Individualität im 18. Jahrhundert mit der wilden Freiheit der Rollenspiele und Identitätswechsel Mozarts abgleichend, am Vorabend einer Zeit, da Innerlichkeit zum Charaktertabernakel ward und die Paranoia und das "selber schuld sein" kreative Potenziale notwendig implodieren ließ. Einleuchtend und schnell.

 

Im Katalog finden sich zahlreiche Abbildungen auch von Künstlern der letzten 50 Jahre. Es ist ein Bilderbuch, getreu der ironisierenden Hypertrophie des Rokoko gegenüber dem Barock, eine Ästhetik der kleinsten Kombinationen, Kaffeetassen, Schachfiguren (die Lebenden gegen die Toten), Lüster, Mode, von 1750 bis 2006, kein knöchernes Faksimilegetue, sondern ein Zusammenschießen der Möglichkeiten: „Real ist das, was in ästhetischer Stilisierung existiert.“ Künstler waren und sind Symbolproduzenten für die Inszenierung des Alltags, der diese Symbole in sagenhafter Geschwindigkeit verschleißt.

 

Und kein einziges Mal spricht Lachmayer das scheußliche Wort Aktualität aus. Läppisch wäre das, als nobilitierte sich ein Werk nur darüber, dass die Gegenwart möglichst viele Saugnäpfe anschließen könnte.

 

Es geht um Rage, Obsessivität und Freiheit, nicht um irgendwelche Zuhandenheit.

 

Nora Sdun

 

 

Zu dem Katalog gibt es natürlich auch eine Ausstellung,

sie läuft bis zum 20. 9. 2006 in der Albertina zu Wien

 

Hrsg. Herbert Lachmayer, Text von Herbert Lachmayer u.a.: Mozart. Experiment Aufklärung im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts, Ausstellungskatalog, Hatje Cantz 2006, 416 Seiten, 205 Abb., 25,50 x 31,70 cm

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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