14. Juni 2006

Ende nicht gut, alles noch viel weniger

 

Noch niemals hat man es gelesen, noch niemand hat es je sagen können, aber schon lange vermutet man es in der künstlerischen Gattung, die gar nicht primär mit Worten zu tun hat und die deshalb das letzte Wort auch gar nicht sagen kann, die es vielmehr auflöst und mit ihm vielleicht die ganze materielle Welt – so sagt es jedenfalls Heinrich Heine von der Musik, und er wird nicht der letzte gewesen sein, der beim Paragone zumal des 19. Jahrhunderts der Musik das Wort gesprochen haben wird. In diesem Katalog geht es aber primär nicht um kunstästhetische Fragestellungen, sondern eher schlicht und turnusgetreu um Dokumentation und Anreicherung einer Ausstellung, die die Düsseldorfer Kunsthalle und das Heinrich-Heine-Institut aus Anlass des 150. Todesjahres von Heinrich Heine und Robert Schumann vom 12. März bis 11. Juni 2006 gemeinsam veranstaltet haben. Begegnet sind sich die beiden Künstler nur ein einziges Mal, nämlich Ende der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts in München, als Heine bereits ein erfolgreicher Dichter war – er hatte gerade das „Buch der Lieder“ publiziert – und der angehende Musiker und talentierte Schreiber dem älteren Dichter seine Reverenz erweisen wollte. Schumanns Bewunderung für Heines Dichtung tat es keinen Abbruch, dass dieser nach der Uraufführung von Giacomo Meyerbeers Oper „Die Hugenotten“ den Komponisten als den „größten Künstler der Musik“ pries, während Schumann, indirekt auf Heines Eloge antwortend, Meyerbeer nur Effekthascherei nachsagen konnte. Robert Schumann hat zahlreiche Gedichte Heines vertont, man weiß jedoch nicht, was Heine davon gehalten hat, und auch Schumann hat es bei seinen vergeblichen Versuchen, den Exilanten in Paris aufzusuchen, nicht herausfinden können. Der vielleicht interessanteste und berührendste Abschnitt des Katalogs ist der Krankheit und dem Sterben der beiden Künstler gewidmet: Heinrich Heine hatte unfreiwillig seit 1848 in Paris seine „Matratzengruft“ bezogen, aus der ihn erst der Tod erlöste, Robert Schumann verbrachte die beiden letzten Jahre seines Lebens in einer psychiatrischen Heilanstalt. Schumann war, wie man so schön sagt, hereditär vorbelastet, was Spekulationen darüber, ob er darüber hinaus an einer Syphilis litt, natürlich keinen Abbruch taten. Dem Ruhm der beiden Künstler hat das nicht geschadet, im Gegenteil, gerade bei Schumann schien die Formel von Genie und Wahnsinn quasi ohne Rest aufzugehen. Und bevor das Konzept von der Überführung von Kunst in Leben formuliert wurde, gab Heine schon mal eine ziemlich genaue und sinistre poetische Vorstellung davon, was es heißt, wenn das am Boden liegende Leben in Kunst überführt wird. Zuletzt haben beide Künstler nur noch an sich selbst gelitten, und es ist dieser Aspekt des Hinfälligen, nicht gerade des bloß Ephemeren, aber doch des prinzipiell Stationsmäßigen des Daseins, das auf die schwierige Grenze des Materiellen zum Immateriellen hinweist und das sich in auch noch vergehenden Liedern vorzüglich zum Ausdruck bringen lässt. Schumann war sicherlich nicht so ironisch wie Heine, aber in der Musik hat Ironie noch nie das letzte Wort gehabt.

 

Dieter Wenk (06.06)

 

Joseph A. Kruse (Hg.), „Das letzte Wort der Kunst“. Heinrich Heine und Robert Schumann zum 150. Todesjahr, Stuttgart und Kassel 2006 (Metzler und Bärenreiter)

 

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