8. Mai 2006

Alles, was ich verstehe, kann ich auch anleuchten

 

Stefan Moos, „das Dunkle und“ Multiple Camera Obscura/Türme in Lauenburg/Fotografien

Ausstellung im Künstlerhaus Lauenburg, Elbstraße 24, Lauenburg Elbe, bis 14 Mai,

Sa. + So. 15-18 Uhr

 

Mephistopheles erklärt Faust seine Herkunft, und in dieser eleganten Formulierung steht manches, womit sich die Ausstellung von Stefan Moos beschreiben lässt:

 

„Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,

Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar,

Das stolze Licht, was nun der Mutter Nacht

Den alten Rang den Raum ihr streitig macht,

und doch gelingt’s ihm nicht, da es, soviel es strebt,

Verhaftet an den Körpern klebt.

Von Körpern strömt’s, die Körper macht es schön,

Ein Körper hemmt’s auf seinem Gange,

So, hoff ich, dauert es nicht lange,

und mit den Körpern wird’s zugrunde gehen.“

 

Licht ist angewiesen auf Körper, von denen es reflektiert wird, andernfalls ist es nicht zu sehen, was heißt, dass man genauso gut sagen kann, es ist überhaupt nichts.

Licht beleuchtet Objekte und Fotos, die man im Dunklen nicht verstehen kann. Man kann Fotos von der Welt machen, wenn das Licht schön darauf fällt. Mit dem Machen hat es menschliche Tradition – genauso wie man Fotos macht, macht man auch Objekte, die meisten Dinge um uns herum sind Artefakte, also gemachte Dinge.

 

Selten entstehen Bilder, ohne dass man dafür einen Finger krumm macht. Das berühmteste Bild dieser Art ist das so genannte Schweißtuch der Veronika, oder auch: das Grabtuch – diese Lappen sind so berühmt, da mit ihnen das Bilderverbot des alten Testaments bricht. Hier hat sich die nicht abbildbare Gottheit selbst abgedrückt, und kein Maler hat dafür seine Staffelei aufgestellt.

 

Auch die Camera Obscura produziert ein Bild, ohne dass man dafür etwas machen muss, auch in dieser Ausstellung. Das Licht fällt durch ein kleines Loch in einen dunklen begehbaren Raum und zaubert sachte, da man sich nur langsam an die Dunkelheit gewöhnt, aber dann immer deutlicher, das seitenverkehrte, auf dem Kopf stehende Abbild in die Kiste, (das Bild ist, solange es Draußen hell ist, die ganze Zeit in der Kiste, man hat aber das unleugbare Gefühl, es würde nur für einen persönlich erscheinen - die lieben, langsamen Zäpfchen und Stäbchen sind schuld). Der natürliche Effekt einer Camera Obscura ist im dicht belaubten Wald anzutreffen, wenn durch das Blätterdach an einer Stelle Licht auf den Waldboden fällt, entsteht dort ein so genannter „Sonnentaler“, eine Lochprojektion der Sonne. Dass diese seitenverkehrt ist und auf dem Kopf steht, kann man bei der Sonne allerdings nicht erkennen.

 

Natürlich stimmt es nicht, dass für das Bild dieser Camera Obscura gar nichts getan werden musste, denn hier ist ja gebaut worden – eine dunkle Kammer und in diesem Fall zwei sehr präzis platzierte Löcher wurden von Stefan Moos angelegt –, dennoch ist das Entstehen des Bildes ähnlich auratisch, life und wunderbar wie das Wunder vom Grabtuch, was eigentlich kein Wunder ist, sondern genau wie die Camera Obscura physikalischen Gesetzmäßigkeiten folgt. Wenn man einen Leichnam in ein Tuch wickelt, drückt sich der Körper darin ab - fertig. Das ist ein allgemeines Gesetz der Bildproduktion: Wo der Körper fehlt, tritt das Bild an seine Stelle. Das Loch oder die Linse oder das Tuch sind nur das Medium für das Entstehen des Bildes. Wenn man eine dunkle Kammer baut und ein kleines Loch in die Wand bohrt, projiziert das Licht das Bild der Welt vor dem Loch in die Kiste, ganz einfach.

 

Da keine Manipulation wirksam wird durch das tätige Schaffen eines Malers oder Zeichners, der sich womöglich hinreißen lässt, Dinge zu malen, die gar nicht zu sehen sind, fügt sich in der Fotografie problemlos ein Miteinander von Bild und Beweis. Auf Beweise ist man seit der Aufklärung und besonders, seitdem die Naturwissenschaft die erste Adresse unseres Glaubens geworden ist, ganz besonders scharf.

 

Normalerweise produziert man mit Fotos Doppelgänger, etwas, was es als Körper gibt und dessen Bild nun an seine Stelle tritt. Und an das man stattdessen glaubt.

 

Im Fall des Bildes vom Lauenburger Kirchturm hat man es mit einer Verwirrung des alltäglichen Glaubenseffekts zu tun. Denn es funktioniert nicht so wie im Johannes-Evangelium, wo es heißt: Er sah und glaubte (JOH 20, 8). Der Clou an der Bibelpassage ist folgender: Er sieht nichts. Er steht am leeren Grab Christi, und was es da zu glauben gibt, außer dass man sagen kann, es ist nichts zu sehen, ist eine der großartigsten theologischen Zwickmühlen.

 

Aber zurück zum Lauenburger Kirchturm, hier sieht man etwas, nämlich zwei Türme, man sieht also und glaubt es nicht, denn wenn man vor die Tür tritt, steht die Kirche weiterhin mit einem Turm da.

 

Dieses Misstrauen ist das zärtlichste Vermächtnis der Aufklärung. Der schieren Faktizität von Bildern kann man glauben, aber man muss ihnen misstrauen (unter diesem Aspekt sind auch die locker platzierten Abbildungen der Türme, Wappen und Schiffe in der Ausstellung zu betrachten, alle Motive zielen auf den Bereich Beweis/Zeugnis und treffen ihn im Spiel). Der Beweis, den Fotos angeblich liefern, ist schwächlich, und seit es Photoshop gibt fast zu vernachlässigen.

 

Dennoch bleibt die sinnliche Gewissheit die einzige sichere Größe. Die Vokabel „sinnliche Gewissheit“ hat sich Hegel ausgedacht, und sie beschreibt das, was man wahrnehmen kann, und dazu gehört nun auch der Doppelturm der Kirche. Die Naturwissenschaft erlaubt uns nicht, das Abbild des Turms als Beweis für einen körperhaften Doppelturm anzuerkennen, da man ihn vor betreten der Camera Box noch eintürmig sah. So schnell kann niemand bauen und abreißen. Trotzdem ist es ein verwirrend echtes Bild. Fiele das Licht durch drei Löcher, sähen wir drei Türme. Also: Nicht das Bild, sondern das Medium, durch das es entsteht, spielt uns Streiche, und in diesem Fall kommen wir ihm ausnahmsweise auf die Schliche.

 

Der Alltag beschert uns allerlei Erkenntnisse, die genau in der zutraulichen Anhänglichkeit zu Medien entstehen, über deren Tricks man sich keinerlei Rechenschaft ablegt.

 

Zu sehen ist das vor allem auf den Fotos von Stefan Moos.

Knapp formuliert besteht der Trick, es ist der Trick der Aufklärung, in Folgendem:

Alles, was ich verstehe, kann ich auch anleuchten. Dinge, die ich nicht verstehe, kann ich nicht anleuchten, weil ich sie nicht auffinden kann. Das Anleuchten ist hier, ganz konkret übertragen, der Erkenntnisprozess. Etwas näher betrachten, etwas ausleuchten, in Augenschein nehmen etc., so lauten die Formulierungen für diese Technik des Nachdenkens.

 

Um sich ganz sicher zu sein, etwas verstanden zu haben, hat man es am besten selbst gebaut. Dann hat man auch kein Problem, es aufzufinden. Alle diese Möbel auf den Bildern sind also von Stefan Moos gebaut, allerdings zu keinem anderen Zweck, als sie dann zu fotografieren. Denn sie funktionieren, als Stuhl, Bett oder Tisch, überhaupt nicht, dafür sind sie zu fragil. Und es geht auch nicht darum, ein Foto von einem Stuhl zu machen, sondern es geht darum, ein Foto zu machen von einer Sache, von der man glaubt, sie zu kennen, um dann zu sagen: Seht her, das ist der Beweis, ich habe etwas verstanden, und hier habe ich ein Foto davon.

 

Gemachte Dinge sind ein Erkenntnismedium. Man braucht ein Medium, um überhaupt etwas zu verstehen, andernfalls kann man nichts auffinden, man kann so viel mit seinem Erkenntnisverlangen in der Gegend herumleuchten, wie man will, wenn kein reflektierendes Medium da ist, bleibt man erfolglos. Man versteht etwas durch ein Ding oder Medium hindurch, man versteht nicht das Medium. Keiner wird jemals einen Stuhl verstehen.

 

Interessant ist bei dieser Gelegenheit, die ruhige Gelassenheit von Handwerkern mit dem nervös zerstreuten Charakter von Geisteswissenschaftlern zu vergleichen. Der Handwerker ist sich sicher, weil er genau weiß, was er getan hat und wofür. Die Erkenntnis kommt unmittelbar als sinnliche Gewissheit zu ihm. Der Geisteswissenschaftler hingegen hat immer nur Sprache, Schautafeln, wenn es hoch kommt, und tausend Thesen, die auf ihre Verifizierung warten. Nie gibt es für ihn sinnliche Gewissheit.

 

Es ist deshalb überhaupt kein Wunder, dass die Baumärkte florieren. Personen, die den ganzen Tag damit beschäftigt sind, Pincodes für Fleischsülze einzutippen, oder sich mit dem ersten Kapitel der Kritik der reinen Vernunft herumschlagen, sind sehr hungrig nach sinnlicher Gewissheit, weshalb man dann die Familie mit handgedrechselten Kerzenständern beglückt oder in Ausstellungen geht.

 

Stefan Moos zeigt hier Erkenntnis im Selbstbausatz. Es ist eine ironische Arbeit. Sie bewegt sich, wie es sich für bildende Kunst gehört, genau in der Mitte zwischen dem Handwerk und dem Geisteswerk. Die Gemachtheit der Modelle legitimiert die Gemachtheit der Fotos, nur ein Ding berechtigt den Fotografen, ein Foto zu machen.

 

Aber hier wird etwas ans Licht befördert, was Unsinn ist, was nur Sinn macht, weil es das Foto gibt, welches es nur gibt, weil ein Ding dafür gemacht wurde. Bei Stefan Moos wird man niemals mit den eigentlichen Objekten zu tun bekommen, sie werden nicht ausgestellt. Dies ist keine Dokumentarfotografie, denn sie beweist nicht das, was man sieht, sondern nur sich selbst als Medium. Die Struktur ist zirkulär. Genauso wie die angeblich wachsende Erkenntnis, der Fortschritt, und andere Lieblingsvokabeln der Aufklärung mehr.

 

Die Sicherheit des Mephistopheles, dass das Licht und mit ihm der kindische vernunftgemäße Impuls der Aufklärung zugrunde gehen wird, bedeutet den Triumph der Schwärze, des Unauslotbaren, der Dunkelheit, von der man nicht sagen kann, ob sie eine Fläche, ein Raum oder gar die Zeit ist.

 

Die Fotos von Stefan Moos zeigen die Künstlichkeit der Erkenntnis, die vor dem völligen Schwarz der unendlichen Nichtkenntnis umso grotesker aus den Bildern ragt. Übergroß bleiben das Unheimliche und Unvertraute, die Krokodile unterm Bett und die unendlichen Möglichkeiten.

 

"Wir sind zum Anfang zurückgekehrt, das heißt, wir sind am Ende. Die Welt muß es erst begreifen, dann wird sie Knall Fall in diese Wahrheit hineinstürzen. Fortschritt? Vergeßt das. Wachsendes Bewußtsein? Lächerlich. Magisches Denken, ja, aber kein Bewußtsein, geschweige denn Wissen. Unüberschaubarkeit ja, o schöner Fetisch Unüberschaubarkeit, das ist eben sinnliche Gewißheit." (R. Menasse „Selige Zeiten, brüchige Welt“)

 

Nora Sdun

 

Abbildungen:

abfotografierte Projektion in der Camera Obscura (Durchmesser der 2 Löcher ca. 7 mm)

Lumières # 1 (3 Bilder )

Lumières # 2

Lumières #3

 

Auf der (multiplen) Camera Obscura steht:

Bitte einzeln oder zu zweit (Kinder: 3) eintreten und den Vorhang schließen. Bis das Auge im Dunkeln seine optimale Sehfähigkeit erreicht hat, können bis zu 10 Minuten vergehen.