8. Mai 2006

Ein neues Ordnungssystem

 

Marcel van Eeden:

K. M. Wiegand. Life and Work

 

Marcel van Eeden ist ein fleißiger, ein monomanischer Zeichner. Er zeichnet alles, was der Fall ist. Jeden Tag, mit Negrostift auf Papier, zügig feste Linien, ganz schwarz und nicht gefummelt.

 

Der Hatje Cantz Verlag hat anlässlich der Berlin Biennale einen Katalog herausgegeben mit 143 Abbildungen aus dem Oevre van Eedens.

 

Die ins Kraut schießende Produktion des täglich mindestens einer Zeichnung Weltalmanachs auf Papier, verlangt nach Strukturierung, nach konzeptionellen Gerüsten, und Marcel van Eeden hat eine sehr elegante Methode dafür entwickelt. Eine strukturierende Methode, die seine Motivwahl nicht beschränkt und ihr eine zusätzliche Ebene der Narration verleiht, die einzelne Blätter aneinandergereiht nicht bieten würden.

 

Van Eeden zeichnet das Leben einer Person. Nicht sein eigenes Leben, das wäre einschränkend und man geriete in Konflikt mit dokumentarischem Erkenntnisverlangen, Selbstschau und Hybris. Van Eeden zeichnet das Leben von Karl McKay Wiegand (1873 - 1942). Wiegand lebte in den USA und war Botaniker, aber das ist unerheblich, denn van Eeden stattet ihn qua Zeichnung mit weiterem Leben aus, es ist ein vielgestaltiges. Er ist nicht nur Botaniker, sondern auch General, Boxer, verheiratet mit Rita Hayworth, er gewinnt Kunstpreise, arbeitet als Architekt und betreibt Tauchsport.

 

Es ist die Fiktion eines Lebens, operierend mit dem Möglichkeitssinn. Diese Bilder sind so wahr wie alle anderen auch, das Mistrauen ihnen gegenüber entspringt einem beckmesserischen Bedürfnis nach Stringenz und Kausalität. Fiktional sind nicht die Zeichnungen, sondern nur die Methode der Bündelung von Zeichnungen unter einem Namen.

 

Der Name Wiegand erklärt nicht die Zeichnungen. Wiegand ist schlicht ein neues Ordnungssystem, was gegenüber numerischen oder alphabetischen Systemen oder Ordnungen der Größe nach den unbestreitbaren Vorteil hat, der Produktion eines Sur Plus Vorschub zu leisten, etwas, was numerische Systeme, also übertragbare, nachvollziehbare Systeme nicht leisten können. Ein Alphabet funktioniert nicht als Alter Ego, chronologische Daten produzieren nur magere Assoziationen. Eine Person hingegen ist die Welt, ohne dass man das mühsam herbeiphilosophieren und pathetisch einflechten müsste bei jeder Gelegenheit. Außerdem hat sich van Eeden mit der Lebensgeschichte Wiegands aus der Schlinge der Beliebigkeit gezogen, keiner kann van Eeden vorwerfen, dass die Masse der Bilder den Sinn seines Werks verunklaren.

 

Ein schönes Buch voller Zeichnungen im Format eines Fotoalbums. Eine ironische Volte gegenüber der Versessenheit aufs Datenspeichern, vor allem gegenüber der Gewissheit, dass gespeicherte Daten immer sinnvoll sind.

 

Nora Sdun

 

 

Marcel van Eeden: K. M. Wiegand. Life and Work

Hrsg. Galerie Michael Zink, München, Text von Massimiliano Gioni, Hatje Cantz 2006

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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