4. Mai 2006

Mamma Johnny

 

Zwölfstündige Theaterstücke, Bed and Breakfast in der Nationalgalerie, Marathon-Lesungen, es gibt viele Beispiele für Kultursportveranstaltungen. Immer sind alle Beteiligten hinterher stolz, es geschafft zu haben, wie bei einem echten Marathon. Kein Wunder, dass die ganze Gesellschaft in Trainingsjacken herumläuft. Der Trend geht zum Spektakel. Die Entwicklung zur Großschau mit Programm rechnet sich und setzt sich gegenüber klassischen Modellen durch.

 

Die Hamburger Deichtorhallen gehören mit 2500 Quadratmetern zu den größten Ausstellungsflächen Europas, ein riesiger Marketingapparat muss brummen, für spektakuläre Shows, andernfalls kann man zusperren.

 

Glückliche Deichtorhallen. Pünktlich zur langen Nacht der Museen, am Samstag den 29.4., eröffnete die Ausstellung „Mamma Johnny“ von Jonathan Meese, dem wahren Trainingsjackenträger. Ein Künstler, der schneller ist als jede Marketingagentur, größer, lauter, wilder und zärtlicher. Er bricht durch die Grenzen, die zwischen den Kultursparten laufen, bevor ein kluger Eventmanager darauf kommt. Meese hat die Berliner Volksbühne ins Museum geladen. Er trägt die Kosten dafür selbst, unterstützt von seiner Galerie. Das Ensemble spielt an zwei Abenden (Do. und Fr.) „Kokain“, den 2004 von Castorf fürs Theater eingerichteten Skandalroman der 20er Jahre. Das Bühnenbild, ein drehbares eisernes Kreuz mit einem Bordell als Zentrum, besorgte Meese, und nun hat er den Spieß herumgedreht. Der Künstler arbeitet nicht im Theater, sondern das Theater arbeitet in der Ausstellung, eine folgerichtige Entscheidung. Der Kulturschuttbeschwörer und rastlose Performer bewegt sich mit voller Absicht im heiklen Terrain zwischen ewiger Kunst und abendlichem Skandal.

 

Meese geht an die Grenzen der Rhetorik, der Zusammenhänge, er geht an die Grenzen der Belastung. Alles andere ist uninteressant, wenn man sich in raketenhaftem Tempo bewegt. Es geht ihm immer um den noch größeren Haufen von Zusammenhängen. Den ganzen identitätsstiftenden Kulturquark, das Lamento, die Lügen, die Liebe und das Pathos verrührt Meese zu einem krustigen Make-up. Dies wird dick aufgetragen auf Leinwand, Bühnen, jeglicher Unterlage, bis die Pampe in Fladen abschmiert. Riesengroß am besten, es ist die einzig angemessene Form fürs Thema, denn es geht um nichts Geringeres, als die Untersuchung der Riesenegos, (Caligula, de Sade, Stalin, Wagner...). Meese versucht sie, der Kunst zu unterwerfen, sie dorthinein zu bannen. „Wenn das gelingt“, so seine Utopie, „wird jede Form der Unterdrückung abgeschafft sein.“

 

Die Pessimisten der Kulturelite klagen derweil über die Verflachung und die „Eventisierung“ der Kunst, machen sich dabei allerdings verdächtig, sie wollten lieber unter sich bleiben. Jean-Christophe Ammann, selbst Organisator von Großereignissen, äußerte seinen Unmut kürzlich in der taz: „Blockbuster sind nicht innovativ. Sie zeigen keine neue Denkrichtung auf, sondern sind Teil der Wirtschaftsförderung.“ Aber es hilft nichts: Die bürgerlich bornierte Zehn-Minuten-Andacht verwandelt sich in einen massenhaften Streichelzoo der langen Nacht.

 

Rainer Kranich, von der Berliner Eventagentur German Arts bestätigt den Trend der, aus Amerika kommend, langsam in Deutschland Einzug hält. „Den, oft wandernden Ausstellungen wird mit dem, jeweils individuell konzipierten Programm der Charakter der Einmaligkeit verliehen. Das Begleitprogramm wechselt, die hohe Kunst steht stur. Es ist manchmal seltsam, da man als Kulturmanager in die Lage kommt, Kunst zu beatmen, die gar nicht beatmet werden will.“ Egal, Indiz für den Erfolg solcher Strategien ist die Möglichkeit, neuerdings Kulturmanagement zu studieren. Es ist, so Kranich, „eine Vermittlungstätigkeit zwischen Hochkultur und Massenwirksamkeit, die über PR-Aktionen hinaus durch die Einbindung diverser Szenen vor Ort gelingt.“

 

Thomas Sello, Leiter der Museumspädagogik der Hamburger Kunsthalle schildert die heikle Situation, in die Institutionen geraten im Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit. „Grundsätzlich ist Quantität und Qualität kein Gegensatz. Für die pädagogische Arbeit des Museums ist es eine tolle Chance, in einer Riesenschau (aber bitte nur gelegentlich) mit 100 verschiedenen Gruppen zu arbeiten. Dramatisch am großen Marketingclou ist die Monopolisierung, die Häuser mit kleinerem Etat ins Abseits drängt, da die Berichterstattung nur noch zu massenwirksamen Projekten erfolgt. Man schadet sich selbst und anderen, da man die zarten Mauerblümchen der Häuser völlig aus dem Auge verliert und sie nur noch sieht, wenn man mit 1000 Watt Strahlern draufhält.“

 

Kulturmanager lernen das Mantra der Kombination von perfekt inszeniertem Begleitprogramm und eigentlichem Hochkulturereignis bereits im Studium beten. Dazu gehören unbedingt elitäre Abstufungen, das Lieblingskind der Kulturproduktion. Kranich, der für den „Salon Noir“, das Programm Melancholieausstellung in der neuen Nationalgalerie, verantwortlich ist, kann ein Lied davon singen, dass die Idee der Elite ein Bedürfnis aller Beteiligten ist. „Es geht stets darum, seine Arbeit als besonders dramatisch, schwierig, unangepasst, eben elitär zu positionieren.“

 

Jonathan Meese interessiert sich weder für solche Befindlichkeiten noch für die mühsamen Kalkulationen der Museen, mit den angeschlossenen Apparaten für Öffentlichkeit und Spektakel. Nichtsdestotrotz, die Ausstellung „Mamma Johnny“ erfüllt alle Kriterien des Marketings und übertrifft sie in ihrer Emphase. Es gibt in der Schau Theater und Performance (24.5.), diverse Kooperationen mit anderen Künstlern, nackte Frauen, obszöne Bilder und politisch Missverständliches in Maßen, aber das Kalkül ist ein anderes. „Ich will in Kunst sehen, was ich noch nie gesehen habe“, fordert Meese, freundlich wie ein Lamm, aber mit Löwenmut gegenüber dem Dégoût, der von Langeweile und Partys lebenden Kunstmeute. Meese ist ein Spektakel, aber er zielt nicht darauf, er zielt auf Kunst.

 

Nora Sdun

 

Performance „der geometrische Gott (die hermetische zeushafte Neutralität der Tyrannis)“ 24.5.)

 

Jonathan Meese, Deichtorhallen, Hamburg, 30.04.2006 – 03.09.2006