25. April 2006

Bekenntnisse einer alten Dame

 

Der französische Originaltitel (Céline secret) ist sehr viel genauer als der Titel der deutschen Übersetzung. Nicht, dass man von Célines Frau, einer Tänzerin, all das erführe, was man bisher nicht wusste oder nur ahnte. Es geht hier nicht ums Auspacken. Der Titel ist eine Zustandsbeschreibung, Céline ist geheim und bleibt geheim. Ob man das nun begrüßen soll oder nicht, ist eine ganz andere Frage. Von dem Leben Célines und mit Céline erfährt der Leser also erstaunlich wenig, das schmale Buch liest sich wie die diffuse Passionsgeschichte eines Apostels auf eigener Rechnung. Die Stationen lassen sich an einer Hand abzählen: Paris, Kräntzlin, Sigmaringen, Dänemark, Meudon. Als sich Lucette Destouches dazu entschließt, ihrer langjährigen Vertrauten und Schülerin Véronique Robert ein paar Sachen zu Céline zu diktieren, ist sie bereits 85 Jahre alt, Céline 36 Jahre tot. Lucette Destouches mit dem schönen Mädchennamen Almansor wurde 1912 geboren, von ihrer sehr jungen Mutter erfuhr sie nur in den ersten drei Jahren ihres Lebens etwas Aufmerksamkeit, ihr Vater sprach kaum mehr als 10 Sätze zu ihr. Ein einsames, schutzbedürftiges Mädchen, das es schon früh zum Tanz zog. 1936 lernt sie Céline kennen, der schon zwei Ehen hinter sich hat, von denen die erste jedoch illegal war, da Louis Destouches zu dem Zeitpunkt noch nicht die Volljährigkeit erreicht hatte. Seit der Veröffentlichung der legendären „Reise ans Ende der Nacht“ im Jahr 1932 nennt sich Louis Destouches „Céline“, der nebenbei, mit Unterbrechungen, weiterhin praktizierende Arzt nennt sich nach wie vor Destouches. Céline und Lucette scheinen ein ideales Paar. Er beschützt sie, sie gibt ihm „alles“. Oder fast alles, denn für manche Vorlieben Célines macht sie anderen Platz, zum Beispiel wenn es um die Veranstaltung von Sexpartys geht. Céline, der zunächst als unwiderstehlicher Frauenheld galt (seine blauen Augen), entdeckt mehr und mehr seine voyeuristischen Neigungen, am liebsten hat er es, wenn er als stiller Genießer lesbischen Frauen zusehen darf. Das regt ihn an, auch zu literarischen Ergüssen, und er berichtet gerne davon seiner Frau, von der man nicht so genau erfährt, ob auch sie einen – masochistisch unterlegten – Lustgewinn daraus zu ziehen vermag. 1936 erscheint Célines zweiter Roman, „Mort à crédit“, ein totaler Misserfolg im Vergleich zur „Voyage…“. In diesem Jahr beginnt Céline auch die Arbeit an seinem ersten Pamphlet, „Bagatelles pour un massacre“, das ein Jahr später erscheint und die literarische Welt vor die Frage stellt, ob man es bei Céline vielleicht mit zwei unterschiedlichen Autoren zu tun hat, denn von dem beißenden Antisemitismus auch der folgenden zwei Pamphlete ist in Célines Romanen bis zum Schluss nichts zu lesen. Lucette Destouches verhilft dem Leser zu keiner neuen Einschätzung ihres Mannes, sie erzählt das nach, was Céline immer aussprach, wenn es um die Rechtfertigung dieser haarsträubenden Schriften geht: Sie seien geschrieben worden, um einen Krieg zu verhindern. Den Nachdruck dieser Schriften hat Lucette Destouches mittlerweile untersagt, da unter veränderten historischen Bedingungen deren „Daseinsberechtigung“ nicht mehr gegeben sei. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Nur ganz oberflächlich streift die Witwe die Beziehung Sartre-Céline, bei vielem bloß Angedeuteten muss der Leser schon mehr von Célines Biografie kennen, um Namen einigermaßen einordnen und einschätzen zu können. Es ist ein Erinnerungsbuch in Nebelschwaden, man möchte als Leser so schnell wie möglich raus aus dem Dunst. Im besten Fall ist es eine Bizarrerie einer sehr alten Dame, der man es gerne nachsieht, sich noch einmal in Erinnerung gebracht zu haben. Über den ehe-stummen Céline erfährt man nichts.

 

Dieter Wenk (04.06)

 

Véronique Robert/Lucette Destouches, Mein Leben mit Céline, München 2003 (Piper); Véronique Robert avec Lucette Destouches, Céline secret, Paris 2001 (Éditions Grasset & Fasquelle)