20. April 2006

Geschlechtertausch

 

Was gibt es Erhebenderes, als von anderen entdeckt zu werden. Gerade galt man noch als Hobbymaler, der in entwürdigenden Jobs sein Geld verdient, um seiner Liebhaberei nachgehen zu können, und plötzlich ist man wer. Doch wie geht es weiter? Gelingt es, den Kredit zu verlängern, oder liegt man bloß auf einer Blase, die bald zerplatzt? Ferdinand ist ein gut aussehender junger Mann, der in dem kleinen Ort Mercoeur als Aufseher an einer Schule arbeitet. Man wüsste nicht viel mehr von ihm, wenn er nicht regelmäßig Farben und Pinsel im Laden des Vater Morand kaufen würde, dessen immer mehr ins Altjüngferliche gehende Tochter sich in Aquarellmalerei übt. Irgendwann sieht der in Paris erfolgreiche und von Zeit zu Zeit in Mercoeur arbeitende Maler Rennequin ein Gemälde von Ferdinand, das ihn begeistert. Ferdinand solle es doch einmal im „Salon“ präsentieren, der alljährlich in Paris stattfindenden Schau bildender Kunst. Ferdinand scheint aber nicht nur ein begnadeter Maler mit persönlicher Note zu sein, sondern auch ein echter Vertreter einer Zunft, zu der er noch gar nicht richtig gehört, der Boheme. Er trinkt gerne, lässt sich mit Mädchen ein und schlägt auch schon mal zu. Der wichtigste Charakterzug liegt aber in einer Unterlassung: Ferdinand reagiert nicht auf Rennequins Vorschlag. Ferdinand ist furchtbar faul und träge. Adele, die das alles mitbekommt, sieht ihre Chance. Sie ist zwar nicht hübsch, hat vielleicht Talent zum Zeichnen, aber sie hat Geld. Ferdinand schlägt sie Folgendes vor: Wir heiraten, gehen zusammen nach Paris, wo du dich ganz der Kunst widmen kannst und mir nur versprichst, ein anständigerer Mensch zu werden. Ferdinand geht darauf ein, sein Bild, der „Spaziergang“, erregt auf dem Salon großes Aufsehen, er ist plötzlich ein berühmter Mann. Man sucht ihn auf, lädt ihn ein, die nächste Zeit ist eine einzige große Party. Ohne Madame Sourdis, die zu Hause ziemlich sauer wird. Dann wird es Zeit, nachzulegen. Die Kundschaft. Ferdinand hat aber keine Lust, amüsiert sich lieber. Adele pocht auf den Vertrag und nimmt unversehens männliche Züge an. Ferdinand muss kuschen. Seine Frau vergattert ihn zum arbeiten. Es gelingt mehr schlecht als recht. Dem Paar kommt zugute, dass Adele eine ausgezeichnete, wenn auch uninspirierte Technikerin ist. Fortan wird zu zweit gemalt. Ferdinand gibt den Plan vor, legt grob eine Skizze an, und Adele kümmert sich um die Ausführung. Und so neu ist das Verfahren ja auch nicht. Auch die nächsten Bilder, die unter dem alleinigen Namen Ferdinands ausgestellt werden, sind ein großer Erfolg, man reißt sich um den Maler Ferdinand Sourdis. Nur einer stellt eine schleichende Veränderung fest. Der Kollege Rennequin. Mit untrüglichem Blick konstatiert er einen Austausch von Leichtigkeit, Lockerheit, „persönlicher Note“ gegen technische Virtuosität und die Langweile scheinbarer Vollkommenheit. Gerade das „Unfertige“ hatte den Charme von Ferdinands Arbeiten ausgemacht. Ohne dass in der Erzählung die Worte fallen, stehen hier Impressionismus gegen Akademie. Die Trägheit des Malers lässt also das ganze Kreative zurückfahren. Die Akademie in der Gestalt Adeles holt das Paar ein. Am Ende ist sie die alleinige Ausführerin von Gemälden, die in Paris nichts mehr gelten und allein noch im Ausland für klingende Münze sorgen. Der frühzeitig gealterte Ferdinand sitzt zu Hause und zeichnet von Zeit zu Zeit – Aquarelle. Change.

 

Dieter Wenk (04.06)

 

Emile Zola, Madame Sourdis, in: Französische Erzähler von Chateaubriand bis France, Leipzig 1951 (Dieterich)