19. September 2003

Ein Tod ist nicht genug

 

Von Gustav Mechlenburg

 

Was stirbt, kann zuvor eigentlich nicht allzu tot gewesen sein. Und tatsächlich hat derjenige, der den „Tod der Oper“ verkündet, eine äußerst agile Lobby gegen sich. Das bezeugt nicht nur der nach wie vor ungebrochene Strom an Besuchern zu den Opern-Festspielen, sondern auch die erregte Diskussion um die Schließung der Opernhäuser in Berlin. Was aber ist der Grund für die anhaltende Attraktivität der Oper in Zeiten von Kino und Event?

 

 

Der vom Verlag als „global operierender Philosophie-Entertainer“ bezeichnete Slavoj Zizek verfolgt in seinem neuesten Buch „Der zweite Tod der Oper“ keinen üblichen Abgesang auf eine scheinbar verstaubte Kunstform. Seine These ist radikaler. Die Oper war seiner Ansicht nach von ihrem Beginn an „tot“, da sie „sich immer in parasitärer Weise auf andere Künste (auf ,reine` Musik, auf Theater)“ verlassen muss. Wäre Zizek näher auf die Anfänge der Operngeschichte eingegangen, hätte er zeigen können, wie die Oper im Ausgang der Renaissance aus der Aporie entstand, die antiken griechischen Tragödien mit ihrer idealen Verschmelzung von Wort und Ton möglichst authentisch aufzuführen, ohne diese im Original je gehört zu haben. Gerade in diesem aussichtlosen „Abarbeiten“ an der Verbindung von Musik und Text war das Genre jedoch lebendiger, als der Autor suggeriert.

 

 

Zizeks Ansatz ist allerdings kein ästhetischer und auch kein historischer, sondern ein psychoanalytischer. Und so geht es im Weiteren nicht so sehr um die Oper als Kunstform als vielmehr um ihre therapeutische Funktion. Die Oper führt vor, was Zizek zufolge die Psychoanalyse lehrt, nämlich dass der Mensch das Leben im Übermaß genießen will und sich so leidenschaftlich in Probleme verstrickt. Richard Wagners Opern sind beispielhaft dafür. Wie in „Tristan und Isolde“ der Wunsch nach grenzenloser Liebe sich nur im Tode erfüllen kann und das Sterben sich singend über eine Stunde lang genüsslich-leidvoll hinzieht, das ist für den Analysten ein dankbarer Fall.

 

 

Bereits Friedrich Nietzsche hatte in seiner Polemik „Der Fall Wagner“ seinen Abscheu über die kranken, hysterischen Charaktere in Wagners Opern kundgetan. Und schließlich war es Freud, der Zizek zufolge der von Anfang an toten Oper den endgültigen Todesstoß gab, indem er die dahinter liegenden libidinösen und ödipalen Strukturen aufdeckte.

 

 

Aber Nietzsche und Freud haben weder „Matrix“ noch „Lola rennt“ gekannt und schon gar nicht den Psychoanalytiker Jacques Lacan. Genau das ist aber das Handwerkszeug Slavoj Zizeks, mit dem dieser der zynischen Haltung der Postmoderne entgegentreten möchte. So entlarvend auch sein analytisches Sezieren ist, wenn er den romantischen Pathos von „Tristan und Isolde“ als männliche Flucht ins phantasmagorisch Weibliche deutet, um sich nicht der „realen“ Frau stellen zu müssen. Der Wert der Kunst verliert dadurch nicht. Im Gegenteil. Gerade die scheinbar antiquierten Lösungsangebote der Oper ermöglichen uns wieder eine unironisch authentische Haltung zu unseren Sehnsüchten und Ängsten.

 

 

So ernst hat Zizek es mit dem Tod der Oper dann wohl nicht gemeint. Wie für Wagners Helden der Tod der Augenblick der Befreiung aus den Klauen des Todestriebs bedeutet, so befreit Zizek die Oper durch seinen Todesstoß von ihrem untoten Dasein.

 

 

Für Opernkenner und –liebhaber wird einiges, was Zizek daherassoziiert ein Graus sein, manches ist schlicht falsch. Argumentativ kann Zizek seine waghalsigen Behauptungen im Gewande des scheinbar Selbstverständlichen sowieso kaum rechtfertigen. Dafür ist sein nicht historisierender Ansatz, der absichtlich die umstrittene Person Wagner außen vor lässt, ein befreiendes Angebot.

 

 

Möglicherweise stecken in seinen Ausführungen auch Ideen für Inszenierungen der neuen Generation in Beyreuth Schlingensief, Marthaler, Lars von Trier.

 

 

Slavoj Zizek: Der zweite Tod der Oper. Aus dem Englischen von Hans-Hagen Hildebrandt. Kulturverlag Kadmos, Berlin 2003. 190 S., geb., 16,90 €