13. Oktober 2003

Poesie in Zeiten der Postmoderne

 

Von Gustav Mechlenburg

 

In der "dichten" Form gedichteter Verse lässt sich anderes und anders ausdrücken als in der Prosa eines Romans. Wenn Ralf Rothmann nach einigen viel beachteten Romanen nun erneut das Gedicht zu seiner Kunstform wählt, so wohl aus zwei Gründen. Einerseits ermöglicht die Poesie durch spielerische Kombination von Worten offene Bedeutungen zu kreieren, andererseits erlaubt sie, anders als bei der von einer Handlung geforderten Stringenz eines Romans, unterschiedliche Themen frei zu mischen.

 

Beides vermag Rothmann aufs Schönste. Bereits in seinem 1984 erschienenen Gedichtband "Kratzer und andere Gedichte" fiel Lesern wie Kritikern die Gelenkigkeit seiner Lyrik ins Auge.

 

"Und über den Dächern, bei leisem Gelächter werfen sich Götter Jahrhunderte zu."

 

Rothmann vertrat schon immer mehr die bodenständige Variante der Literatur. Von intellektuellen Höhenflügen oder aufgesetzter Hipness wird man bei ihm nichts finden. Und so ist es auch nicht wirklich verwunderlich, dass neben erotischen Gedichten und Reiseeindrücken Gebete und Psalme den Grundtenor des neuen Bandes ausmachen. Eine Religiosität allerdings, die weder einem Gott noch einem bestimmten Naturverständnis huldigt. Es handelt sich vielmehr um selbst kreierte Konstruktionen, genährt teils aus den Zufällen und Rätseln des Alltags, nicht selten aber schlicht aus Irrtum.

 

Eins seiner schönsten Gedichte und zugleich beispielhaft dafür ist "Am Ende unverbesserlich". Den Spruch Buddhas von der Leidhaftigkeit des Daseins von der Wiege bis zum Grab hatte der Versschreiber jahrelang vergeblich zu verstehen versucht. Bis ihm aufging, irrtümlich statt Leid- immer Liedhaftigkeit gelesen zu haben. "Wo das Denken in blauen Schatten lauert, werden Fehler sprachlos wahr."

 

Die Farbe Blau wiederum wird der aufmerksame Leser in einigen Versen wiederentdecken. Und er geht wohl nicht fehl in der Annahme, damit den Ausdruck für den die meisten Literaten teilenden Lebenszustand zu finden. "Mein Körper beschreibt deine Gnade. Doch ich fraß ihn dir weg, ging in die Bar, und kotzte ihn über die Bücher. Gesegnet sei der Ekel, die Made im Mund für den, der tiefer sah als nur ins Glas."

 

"Und die Wahrheit wird zur Narbe."

 

Die Balance zwischen Derbheit und Eleganz in Rothmanns Sprache gehört zum Befreienden seiner Dichtkunst, auch wenn sie manches mal zu ersterer abzurutschen droht. Befreiung ist denn auch die Absicht des Autors. Seine Gedichte sollen Raum schaffen in Kopf und Herz. Und das ohne falsche Sentimentalität. Der Titel "Gebet in Ruinen" ist daher nicht umsonst gewählt, schließt der Band doch mit dem "Zuspruch". "Komm zur Ruhe, sei Gebet. Reinige den Tempel mit einem Lächeln."

 

 

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Ralf Rothmann: "Gebet in Ruinen", Suhrkamp 2000