13. Oktober 2003

Nootebooms Hotel

 

Von Gustav Mechlenburg

 

Wer sich für die Geschichte ethnologischer Völker interessiert, weiß, dass es keine gerade Entwicklung vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit gab. Immer waren es konkrete Gründe, die Menschen entweder zum Aufbruch oder zum Bleiben motivierten. Für die Reisen des holländischen Schriftstellers Cees Nooteboom scheint es keinen Anlass zu geben. Kein Auftrag, der erfüllt, kein Freund, der besucht werden möchte. Die Möglichkeit, über das Erlebte zu schreiben, ergab sich denn oft auch erst im nachhinein.

 

Gründe zu Hause zu bleiben gab es für den Journalisten allerdings genauso wenig. Und so stellt sich Nooteboom zu Beginn seines Buches "Nootebooms Hotel" die philosophische Frage, was es mit dem Reisen auf sich hat. Handelt es sich dabei, wie viele Interviewer ihm unterstellen, um eine Flucht? "Womit dann gemeint wird: eine Flucht vor sich selbst, wobei ich dann wiederum ein dämonisches, pathetisches, zerissenes Selbst sehe, das mich ständig von neuem in die Wüste oder aufs Meer hinausjagt." Aber auch der Reisende ist ständig irgendwo und hat sich immer selbst im Gepäck. Eine Flucht von sich selbst ist daher unmöglich. Die Schwierigkeit liegt für Noteboom in der Notwendigkeit, sich vor den Daheimgebliebenen zu rechtfertigen. "Denn die wirkliche Antwort, die etwas mit Lernen und Meditieren, mit Neugier und Perplexität zu tun hat, ist nicht spektakulär genug."

 

Die Bewegung geht dem Gedanken voraus.

 

Die aus den letzten 3 Jahrzehnten versammelten Texte in "Notebooms Hotel" handeln daher auch allesamt eher unspannend von dem Weg des Schreibers zu sich selbst. Dass dieser durch ferne, recht unbekannte Länder Afrikas und Südamerikas und die verwesende Kulturgeschichte Europas führt, und er dabei Zeitgenossen, unter anderen Federico Fellini, Bruce Chatwin und Umberto Ecco, streift, macht es für den Leser aber durchaus interessant.

 

Jeder, der schon einmal in untouristischen Gefilden unterwegs war, wird die Höhen und Tiefen einer solchen Reise bei Nooteboom wunderbar aufgezeichnet wiederfinden. Insbesondere die in der ersten Hälfte des Buches unter der Bezeichnung "Zeitreisen" aufgeführten Reiseberichte handeln vom Ausgeliefertsein ams Fremde. "Man reist allein in einer Welt, die von anderen gemanagt wird. Sie sind diejenigen, denen die Pension gehört, in der du ein Zimmer möchtest, die entscheiden, ob für dich noch Platz in dem Flugzeug ist, das nur einmal in der Woche geht, sie sind diejenigen, die ärmer sind und an dir etwas verdienen können, sie sind diejenigen, die mächtiger sind, weil sie dir einen Stempel oder ein Papier verweigern können ..." Man muss dazu sagen, dass es Nooteboom allerdings auch oft darauf anlegt. Wenn auch ohne politischen oder journalistischen Auftrag, versucht er zum Beispiel immer wieder, unmögliche Audienzen bei dem Präsidenten von Mali oder Untergrundkämpfern Boliviens zu bekommen. Genau an diesem Abarbeiten an Bürokratie und Gefahr erfährt er jedoch mehr von dem jeweiligen Land und seinen Menschen als so manch gewöhnlicher Tourist.

 

 

 

Die Gedanken zu Bildern, Fotos und Büchern, die die zweite Hälfte der Sammlung ausmachen, spiegeln dann bereits den zu sich selbst gekommenen Nooteboom wider. Mit Reisen hat das kaum noch zu tun. Hier ist der Autor nicht mehr der staunend interessierte Journalist, der sich nicht scheut, auch mal den Mund zu politischen Themen aufzumachen, sondern der gesättigte Kulturbürger mit umtriebiger Vergangenheit. In dem Vorwort zu seinem 1993 erschienenen Buch "Der König von Surinam" schrieb Nooteboom: "Ich versuchte, das Gesehene mit Worten zum umkreisen, ich hatte keine Theorien über die Welt, an denen ich die verwirrende Wirklichkeit, die ich um mich herum sah, überprüfen konnte." Anscheinend besitzt er mittlerweile diese Theorien, und das Bedürfnis, diese mitzuteilen grenzt leider allzu oft an selbstgefällige Geschwätzigkeit. Aber ein Hotel hat ja bekanntlich viele Zimmer und man muss ja nicht in jedem wohnen.

 

 

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Cees Nooteboom: "Nootebooms Hotel", Suhrkamp 2000