13. Oktober 2003

Politik in Zeiten der Globalisierung

 

Von Gustav Mechlenburg

 

Braucht ein demokratischer Zivilstaat eine politische Ethik? Nida-Rümelin bejaht dies in seinem neuen Buch. Sein Vorschlag besteht  in der Rhetorik einer „strukturellen Rationalität“ im Sinne von Kooperation. Die Akteure verzichten dabei auf je individuelle Optimierung ihrer eigenen Interessen und legen sich auf eine gemeinsame Strategie fest. Dazu bedarf es ihm zufolge eines normativen, handlungswirksamen Elements. Zur Demokratietheorie muss also eine normative Ethik hinzutreten. Politische Institutionen des zivilen Staates sind von einem normativen Grundkonsens abhängig, der Verfahren der kollektiven Entscheidungsfindung und Grundregeln zwischenmenschlicher Interaktionen umfasst.

 

Gerade im Hinblick auf eine globale Zivilgesellschaft müssen diese normativen Fundamente  aber „hinreichend neutral sein, um mit einer Vielfalt unterschiedlicher Lebensformen und kultureller Prägungen vereinbar zu sein“.

 

Es bleibt zu fragen, wie dieser Konsens zu verstehen oder, besser noch, herzustellen ist. Nida-Rümelins Ansatz hat nichts mit einer kommunitaristischen Tugendmoral zu tun. In John Rawls liberaler Vertragstheorie sieht er die stimmige Verbindung von individueller Rationalität, Kooperation und Gerechtigkeit. Prinzipien der Gerechtigkeit sind danach Ausdruck vernünftiger und fairer Entscheidungen. Die eine Demokratie tragende Bürgerschaft vereint so eigene Interessen, Toleranz und Engagement.

 

Der hypothetische Fairness-Vertrag beschränkt sich dabei nicht allein auf die Koordination unterschiedlicher Interessen, sondern dient auch als Kritierium für ethische Kritik an gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen.

 

Schwierig bleibt das Verhältnis zwischen universalen Normen, wie Menschenrechten, und moralischen oder religiösen Einzelurteilen. Wie tolerant kann, wie tolerant muss ein ziviler Staat sein? Und wieviel Loyalität kann oder muss er von seinen Bürgern einfordern? Nida-Rümelin unterscheidet in dieser Hinsicht zwei Ebenen voneinander. Auf der einen spricht er von einer Kooperation höherer Ordnung, der Loyalität zu demokratischen Abstimmungsergebnissen. Auf der anderen hält er es nicht für nötig, wie Rorty dies nahelegt, dass der Einzelne seine normative Wahrheit aufgeben muss. Die Regeln, die eine zivile Interaktion ermöglichen, müssen nicht zu einer gleichen Bewertung von Handlungskonsequenzen führen. Anders herum darf eine moralisch-religiöse Auffassung aber auch nicht zu einer unangemessenen Intervention führen. Als Beispiel nennt Nida-Rümelin den Fanatiker, der anderen das Rauchen untersagen will, weil es ihnen gesundheitlich schadet. In diesem gleichmacherischen Konsequenzialismus liegt nach  Nida-Rümelin eine Aporie, die er schon in seinem ersten Buch „Kritik des Konsequentialismus“ anprangert. 

 

Auch wenn Nida-Rümelin die Kontingenz und Komplexität moralischer Normen an solchen Stellen unterschätzt, bleibt doch sein Plädoyer für eine Rhetorik der Kooperation hilfreich. Entgegen der Vorstellung, Demokratie sei Selbstbestimmung des Volkes, hat seine Auffassung den Vorteil, sich nicht auf die Repräsentation des Volkswillens festzulegen. Vielmehr lässt sich die Kooperation sowohl unter- als auch oberhalb der nationalen Ebene verorten. Gerade in Zeiten der Globalisierung bleibt Politik damit ein mögliches Projekt entgegen allem Sachzwanggerede.

 

 

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Julian Nida-Rümelin: „Demokratie als Kooperation“. Suhrkamp 1999, S. 223, DM 19,80