13. Oktober 2003

Die Party hat immer Recht

 

Version 2.0 von Andreas Neumeisters "Gut laut"

 

Von Gustav Mechlenburg

 

Den meisten Anwendern sind die Unterschiede einer höheren Programmversion zu der bisher verwendeten wohl kaum bewusst. Und so hat es oft nur etwas mit Mode oder Obsession zu tun, wenn wir uns stets um die neueste Software bemühen. Auch bei Andreas Neumeisters Buch "Gut laut", das der Suhrkamp Verlag nun erneut mit dem Untertitel "Version 2.0" herausgibt, werden einzig Besessene die Stellen bemerken, die der Autor seit der Erstausgabe von 1998 gerafft oder erweitert hat. Genau für diese Gattung Mensch ist der experimentelle Roman aber offensichtlich gedacht - genauer gesagt, für Besessene der Popmusik.

 

Neumeister hat einen Prosamonolog eines Musikabhängigen verfasst. Nicht Kettenraucher, sondern Kettenhörer werden hier in München, angefangen von den 70er Jahren bis zur Jahrtausendwende, einem ethnologischen Blick unterzogen. Wobei für den Erzähler doch wiederum beides in den meisten Fällen zusammengehört: "Wo klasse Musik läuft, ist selten gute Luft."

 

Wer in den letzten 30 Jahren nicht ausschließlich Klassik gehört hat, wird vieles wiedererkennen. Die Anfänge der elektronischen Musik sowie das Aufkommen der heimischen Aufnahmegeräte. Amon Düül, Can, Kraftwerk, Nico, aber auch Olympiade 72, Uschi Obermaier und RAF. Bandnamen, Definitionen von Abkürzungen, Phrasen und Fragen werden aufgezählt. Retardierende Slogans wechseln sich mit an Thomas Bernhard erinnernden Satzkonstruktionen ab. Und dann immer wieder Listen. Und zwar nicht nur als inhaltlicher Witz, wie man es von Nick Hornbys "High Fidelity" kennt, sondern als durchgehendes Stilmittel. Das DJ-mäßige Zitieren und Sampeln wird hier vollständig in die Gattung Literatur übertragen, so dass Kritiker zu Recht von einem "Poproman", vielleicht dem einzigen, gesprochen haben.

 

Möglicherweise ist die Neuauflage dem ebenfalls gerade bei Suhrkamp erschienenen "Hellblau" von Thomas Meinecke zu verdanken. Der hoch gelobte, aber wenig erhellende E-Mail-Roman Meineckes versteht es genauso, unterschiedlichste Versatzstücke zu mixen. Allerdings, und das ist der entscheidende Unterschied, meidet Neumeister im Gegensatz zu Meinecke alles, was mehr nach Diskurs klingt als nach Pop. Für Menschen, die wie Leerkassetten überspielt werden, stellen sich keine tiefgreifenden Fragen nach Identität und Politik. Und wenn, dann nur in hedonistischer Attitüde: "Die Party hat immer Recht." Denn nach Meinung des Erzählers von "Gut laut" war das vergangene Jahrhundert nur durch Pop überhaupt erträglich. Man könnte meinen, dass es Neumeister darum geht, dem "deutschen Katastrophenjahrhundert" durch eine popkulturelle Neubeschreibung seine Tragik zu nehmen. Für alle "scheinbaren Zeitgenossen", die mit Musik nichts am Hut hatten, hat er deshalb nur Bedauern übrig.

 

Dass es in diesem Paralleluniversum nicht ganz ohne Stress abgeht, wird allerdings schnell klar. Das Glück, in einer elektronischen Welt zu leben, in einem Zeitalter, "in dem die Epoche am Anfang einer durchschnittlichen Lebensspanne absolut verschieden ist von der Epoche an deren Ende", wird eben gerade durch das andauernd Neue getrübt. "Das Fernsehprogramm war noch nie so zeitraubend wie heute, ich meine, noch nie liefen so viele klasse Filme im Fernsehen wie heute, ich meine, die Frage ist nur, ob man sie mitkriegt." Ähnlich verhält es sich mit Radio, Zeitungen und sonstigen Daten. Für all dies wünscht sich der Erzähler einen Klon, der sich um die Aktualisierung seines Adressbuchs kümmert sowie zuverlässig alle Medien auswertet. "Mein Gedächtnis ist ein Sieb. Irgendeiner muss ja die Drecksarbeit machen." Womöglich haben wir mit dem Medienjunkie Rainald Goetz einen Checker gefunden, der uns einiges von dieser Arbeit abnimmt. Man denke an "Abfall für alle", aber auch an viele weitere Publikationen und Theaterstücke, in denen er wie kein anderer Diskurse, Namen und Daten für die Nachwelt gespeichert hat. So bleibt uns Zeit, in Neumeisters mitunter wirklich witzigem Buch zu blättern und natürlich Musik zu hören - und zwar laut.

 

Andreas Neumeister: Gut laut, Version 2.0.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2001.

192 Seiten, 8,10 EUR.

ISBN 3518397826