13. Oktober 2003

Zeitlos modern

 

Paula Fox hat mit "Lauras Schweigen" wieder einen Bestseller geschrieben

 

Von Gustav Mechlenburg

 

Klassiker sind wieder in. Sei es durch mediale Empfehlungen pädagogisierender Kritiker oder aus dem Bedürfnis des Publikums heraus, nach dem Ausverkauf von Jungliteraten endlich wieder anspruchsvolle Literatur zu lesen. Glücklicherweise muss dabei auch gar nicht so weit zurückgegriffen werden. Manch ein Klassiker lebt ja noch, und einige laufen sogar erst im hohen Alter zu ihrer Höchstform auf, wie gerade bei Günter Grass und John Updike zu verzeichnen ist.

 

Eine Schriftstellerin, die erst kürzlich in den Kreis der amerikanischen Klassiker aufgenommen wurde, ist Paula Fox. Drei Jahrzehnte blieben die Romane der New Yorker Autorin völlig unbeachtet. Doch seit ein paar Jahren gelten sie als literarische Sensation und sind zu Bestsellern in den USA avanciert. Dass Fox in Vergessenheit geraten war, ist erstaunlich. Wurde ihr Debütroman "Was am Ende bleibt" doch bereits 1971 mit Shirley MacLaine in der Hauptrolle erfolgreich verfilmt. Darüber hinaus war Paula Fox als Kinderbuchautorin äußerst erfolgreich und erhielt hierfür 1978 den Hans Christian Andersen-Preis.

 

Doch so undurchschaubar das Vergessen, so komplex die Wiederentdeckung. Da mag oft eine ganze Menge strategisches Geschick seitens des Autors oder des Verlags dahinterstecken. Letztendlich funktioniert so eine Rehabilitierung jedoch kaum, wenn ein Werk nicht den Zeitgeist trifft. Die vom C. H. Beck Verlag bereits veröffentlichten Romane "Was vom Ende bleibt" und "Kalifornische Jahre" fügten sich denn auch perfekt in neuere Debatten um eine kritische Neubeschreibung der amerikanischen Vergangenheit. In dem einen zeichnet Fox ein düsteres Bild der 68er-Generation in New York, der andere spielt im Kalifornien des Zweiten Weltkriegs. Dauerpartys und politische Ideologien halten sich darin die Waage.

 

Paula Fox' soeben auf Deutsch erschienener Roman "Lauras Schweigen" (Original 1976) wartet weder mit einem historischen Bezug noch mit einer komplexen Handlung auf. Doch umso mehr zeigt sich darin ihr literarisches Können. Verdichtet auf einen einzigen Tag und auf nur wenige Personen gelingt der "Spezialistin für Abgründe" ein spannendes, aber auch bitteres Psychogramm einer auf schreckliche Weise miteinander verstrickten Familie, das so zeitlos ist wie modern.

 

Laura Maldonada Clapper, halbkubanischer Abstammung wie Paula Fox selbst, lädt ihre Tochter, ihren Bruder und einen befreundeten Lektor vor einer geplanten Afrika-Reise zum Abschied in ihr Hotelzimmer in New York ein. Die Zusammenkunft endet, wie von allen Beteiligten im Voraus erwartet, in einem Eklat. Nur der Leser weiß, dass es sich zumindest in diesem Fall nicht nur um eine der üblichen Launen der Übermutter handelt. Die Nachricht über den Tod ihrer eigenen Mutter, den sie den anderen gegenüber verschweigt, überschattet den gesamten Abend.

 

Teilweise erinnert die Familienkonstellation an "Dallas" oder "Denver-Clan". Herrschergesten, Verletzungen und beklemmende Andeutungen. Doch liegt die Kunst der Autorin in dem großartigen Wechsel der Erzählperspektiven, wodurch jede Figur zu ihrem Recht kommt, was die Situation umso tragischer macht. Die Mischung aus psychologischer Innenschau und gefeilten Dialogen macht "Lauras Schweigen" zu einem ungemein fesselnden, aber auch traurigen Buch.

 

Paula Fox: Lauras Schweigen. Roman.

Übersetzt aus dem Englischen von Susanne Röckel.

Verlag C. H. Beck, München 2002.

233 Seiten, 18,50 EUR.

ISBN 3406487033