13. Oktober 2003

Fischen in trüben Gewässern

 

Zu Marc Fischers zweitem Roman "Jäger"

 

Von Gustav Mechlenburg

 

 

Seltsame Zeiten sind das, in denen Popautoren keine Popromane schreiben. Einerseits wollten sich viele der jüngeren Autoren natürlich erst gar nicht zu diesem Genre zählen, andererseits soll es damit ja nun auch vorbei sein, wird doch im Feuilleton nach der Zeitungskrise nicht nur über das Ende des Popjournalismus, sondern seit längerem schon über das Ende der Popliteratur schwadroniert. Schlecht also für diejenigen Schreiber, die unter diesem Logo verhandelt werden. Da trifft es sich gut, dass das neue Judith-Hermann-Buch erschienen ist. Freunde des scheinbar tiefer greifenden realistischen Erzählens werden hier bedient und distanzieren sich mit dem Hinweis auf solcherlei Alternativen von einer - ihrer Meinung nach - oberflächlich-subjektivistischen Popliteratur. Wie fragwürdig und unnötig diese Frontstellung ist, hat nicht zuletzt der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler in seiner Studie "Der deutsche Poproman" so polemisch wie treffend gezeigt.

 

Nun kann man von dem Hamburger Autor Marc Fischer nicht behaupten, dass er mit seinem Debütroman "Eine Art Idol" einen klassischen Poproman geschrieben hätte. Die existenzielle Problemstellung eines unbedingten Lebens mit archaischer Samurai-Attitüde und revolutionärem Touch bedient sich gar nicht so sehr der Popwelt, sondern greift vielmehr in die Eigentlichkeits-Kiste. Und doch funktioniert die Geschichte nur vor der popkulturellen Folie, die mal mehr, mal weniger die Ernsthaftigkeit des Plots ironisch bricht. Genau dieses Konzept erwartet man nun auch bei seinem neuen Roman "Jäger". Je mehr Eigentlichkeit verhandelt wird, umso mehr sehnt man sich nach ausgleichender Ironie. Doch leider sucht der Leser nach solchen Stellen, zumindest wenn sie nötig oder angelegt wären, vergeblich. So dass die einzige Rettung bleibt, den Roman als Ganzes in seiner Absurdität zu betrachten. Insbesondere Christian Krachts Roman "1979" war in dieser Hinsicht gelungen, da die Zuspitzung der Handlung gegen Ende die quasiphilosophischen Ausflüge geschickt ad absurdum führte.

 

Auch bei Fischers neuem Roman gibt es einen Show-down, aber die Läuterung kommt für den Helden wie für den Leser zu spät. Zu viel freilaufender Pathos durchströmt das Buch. Die Zivilisationskritik ist platt und von Ernst Hemingway abgeschrieben. Überhaupt hat sich Fischer nicht nur in der Thematik, sondern auch im Duktus an den Altmeister angelehnt. Die beiden Protagonisten, Gursky und Schweitzer, unternehmen nicht nur eine Kuba-, sondern sozusagen auch eine Literaturreise, um einmal im Leben etwas zu tun, "was mit der Art Freiheit zu tun hat, wie sie in den Büchern von Joseph Conrad, Hemingway oder Melville beschrieben wird - mit dem Kampf gegen und dem Sieg über die Kräfte der Natur in einer Welt, die immer weniger mit der Natur zu tun hat".

 

Diesen symbolischen Tiefgang kann man solange verkraften, wie es sich dabei um die Gedanken der handelnden Personen selbst handelt. Gursky ist 30, bekannter Fernsehmoderator, von dem wir erfahren, dass er nichts Besonderes war. Erfolgreich aber, da er reden konnte, "schnell und überzeugend, wie Goebbels".

 

"Er war ein Mensch des Westens, schwach und unbedeutend, und er schämte sich dafür. Ein Mensch, dessen größte Leistung es war, vor Kameras schlechte Witze gerissen und ein paar Popstars erniedrigt zu haben. Darauf basierte im Wesentlichen seine ganze Identität - nicht auf Taten, sondern auf Rhetorik." Ihn treibt es noch einmal, bevor er Vater wird, hinaus in die Welt. Speziell nach Kuba, wo er seinem Kindheitstrauma begegnen will. Er will einen Hai fangen, wie vormals sein Vater. Wenn er über Haie redete, gab es "ein Glitzern der Hoffnung und Erregung darüber, dass es in dieser Welt noch Dinge gibt, die man tun kann und die einen Menschen retten können vor seiner Trauer, seinem Unglück, seinem Hass. Eine symbolische Tat, die ihn reinigte."

 

In Kuba trifft er auf einen alten Bekannten: Lukas von Schweitzer. Ein Dandyschriftsteller, der einen unweigerlich an Christian Kracht erinnert. Gursky und Schweitzer hatten sich bisher gehasst und sind sich in der deutschen Heimat meist aus dem Weg gegangen, verbünden sich aber in der Fremde, da beide in einer Lebenskrise stecken. Gursky, weil er vor einem neuen Lebensabschnitt steht, Schweitzer, weil er verlassen wurde. So unterschiedlich die beiden auch sind, es entspannt sich mit dem gemeinsamen Ziel, einen Hai zu fangen, eine schwitzige Männerfreundschaft, die vor Schlägereien, Prostituierten und Drogen nicht Halt macht.

 

Das alles wird von Marc Fischer wunderbar schnell und spannend erzählt. Wie Gursky anfangs, da sein Gepäck verschwunden ist, in einer ausrangierten Uniform eines kubanischen Soldaten durch Havanna stolziert. Die Dialoge zwischen den ungleichen Freunden. Die Stadt- und Naturbeschreibungen. Alles großartig, wie gesagt, wenn nicht der Erzählerkommentar dazu käme, der annehmen lässt, dass Fischer entweder dem Leser das Mitdenken nicht zutraut oder sich selbst seine eigene Geschichte nicht. So heißt es über Gursky, nachdem auf wenig heldenhafte Weise tatsächlich ein Hai dran glauben musste: "Er schämte sich seiner ganzen Existenz, und er spürte diese Scham auch dem Hai gegenüber, der nur eine gepeinigte und gänzlich schuldlose Projektionsfläche für alles gewesen war." Schüler im Deutschunterricht werden sich über die mitgelieferte Interpretation freuen.

 

Als Gursky nach all den Erlebnissen noch immer auf das Unverständnis eines Einheimischen stößt, erklärt er diesem, dass die Weißen vielleicht einfach nur mal etwas Mythisches erleben wollen. Die Antwort des Fischers könnte auch Marc Fischer gelten: "Mythen sind etwas für arme Leute. Ihr wollt alle nur etwas zu erzählen haben." Nach so viel Tiefsinn doch noch ein ironischer Ausgleich? Mehr Oberflächlichkeit hätte dem Buch auf jeden Fall nicht geschadet.

Marc Fischer: Jäger. Roman.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002.

256 Seiten, 9,90 EUR.

ISBN 3462031554