13. Oktober 2003

Jugend ohne Kick

 

Von Gustav Mechlenburg

 

Was wurden uns nicht schon für Sammelbegriffe für die Jugend um die Ohren gehauen: Generation X, @, Golf und so weiter und so fort. Gegen solche monokausalen Schubladen richtet sich Klaus Farin, Leiter des Archivs für Jugendkultur in Berlin, in seinem neuen Buch. Umso mehr verwundert der

reißerische Titel "generation kick.de", wird die These des Erlebnishungers doch nur an einzelnen Stellen und nur zu bestimmten Jugendkultur-Szenen untermauert.

 

Wonach vielmehr gesucht wird, sind die "heimlichen Regeln" nach denen die unterschiedlichsten Subkulturen wie Gothics, Punks, HipHopper, Hooligans, Neonazis oder Skins funktionieren. Es handelt sich um ein System von Regeln, die nirgendwo schriftlich fixiert sind und zumeist nur durch aktive Teilnahme erfahren werden können. Jugendkulturen befriedigen in Zeiten wachsender Individualisierung das Bedürfnis nach Sinn-Gemeinschaften. Sie bringen Ordnung und Orientierung innerhalb der Gesellschaft durch die Schaffung eigener Strukturen. Hierbei ist der gewählte Stil stets eine Kompromisslösung zwischen Abgrenzung und Identifikation.

 

Farin geht es darum, die Lücke zwischen der wissenschaftlichen, meist pädagogisierenden Forschung und der kommerziellen Ausschlachtung (á la MTV) der Jugendkulturen zu schließen. Sein Impetus des "Dabeigewesenen" ist dabei zwar teilweise anstrengend, gewährt jedoch einen offenen, fast ethnografischen Blick auf die jeweiligen Gruppierungen, ohne zu vorschnell wertende Urteile anzulegen.

 

Die Schwierigkeit liegt dabei darin, einerseits "die Jugend" nicht rein als Vorstufe zum integrierten Staatsbürger zu sehen, andererseits sie aber auch nicht als autarke Traumwelt zu verherrlichen, denn "`die Jugend` denkt schon immer FAST genauso spießig und UNPOLITISCH, rechtskonservativ oder linkskonform, gewaltbereit und konsumtrottelig wie ihre erwachsenen Leitbilder."

 

Die bisher relativ schematischen Einteilungen von Subkulturen entlang sozial eindeutiger Klassen oder Milieus scheint zunehmend nicht mehr auf die äußerst ausdifferenzierten Jugendkulturen und -stile anwendbar zu sein. Studien haben gezeigt, dass Jugendliche im Lauf ihrer Teenager-Jahre ein halbes Dutzend oder mehr Stile oder Szenen durchlaufen. Farin unterscheidet deshalb zwischen Kern-, Rand- und Freizeitszenen sowie Sympathisanten. Die Struktur des "Entweder-Oder", wie sie aus den klassischen Institutionen bekannt ist, gilt ihm zufolge nur für kleinere subkulturelle Szenen wie Punks, Skins, Rechte und Linke. Mainstream-Fun-Kulturen wie Snowboarder, HipHopper oder Technos sind dagegen offen und durchlässig für Szene-Surfer. Mehrere subkulturelle Backgrounds bieten für viele Jugendliche einen Interpretationsspielraum. Ein ironische Umgang wird von der "ingroup" dabei oft akzeptiert, Zynismus dagegen verachtet.

 

In einem Interview erzählt ein Gothic-Mädchen, ihre Wochenenden hätten früher daraus bestanden, vor Skinheads zu fliehen. In letzter Zeit allerdings ist die Aggression einer Art gegenseitigem Abchecken gewichen, "so ein Wissen, da ist auch jemand, der ist auf jeden Fall echt und wirklich anders".

 

Farin nimmt solcherlei Beispiele leider nur allzu gerne auf, um seine These bestätigt zu sehen, dass die Jungen "tendenziell offener" denken als wir Alten. Dass die meisten Jugendlichen tatsächlich mit Gewalt nichts zu tun haben wollen und der Spruch von der "unpolitischen" Jugend angesichts transformierten Engagements überdacht werden muss, ist vielleicht wirklich noch nicht bei allen padagogisierenden Tugendwächtern angekommen. Der Jugend deshalb aber einen Freibrief auszustellen, geht an den wahren Problemen genauso vorbei. Es hätte dem Buch wohl besser getan, hätte Farin sich auf seine erhellenden Einzelbeobachtungen beschränkt, statt doch wieder in Verallgemeinerungen abzudriften.

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Klaus Farin: "generation kick.de." Jugendsubkulturen heute, beck´sche

reihe 2001