14. September 2003

Auto und Verklärung

David Cronenberg, Crash, Kanada/Großbritannien 1996

 

James Spader konnte in „Sex, Lies and Videotape“ so schön gequält und linkisch lächeln. Der Apparat, mit dem er da spielte, konnte ihm noch ein schlechtes Gewissen machen. Also ein Problemfilm. In „Crash“ wird nicht gelacht. Es geht um Autos. Und diese sind bekanntlich die Lösung des Problems.

 

Vaughan (gesprochen ungefähr wie das deutsche „Wahn“) ist ein car-victim, analog zum fashion-victim. Er sieht ziemlich verwegen aus und „arbeitet“ an einem Projekt, dessen Titel erst mal sehr allgemein klingt: „the re-shaping of the human body by modern technology“. Für ihn heißt das ganz konkret, dass sein sehr geiles Auto (ein alter langer offener Schlitten) ein integraler Bestandteil seines Lebens ist. Er lebt nicht in einem Haus, sondern in seinem Auto. Das kann man als Zuschauer gut nachvollziehen, Vaughan in seinem röhrenden Wagen ist reines Kino. So weit auch das fiktionale Moment. Damit noch das wissenschaftlich Projekt-mäßige dazukommt (Vorlage des Films ist James Ballards 1973 erschienener Roman „Crash“), wird die allbekannte Wahrheit vom Zusammenhang von Auto und Sex auf einen bestimmten Punkt gebracht. Autos sind in diesem Film also keine Transportmittel von A nach B, sondern Orte des Vollzugs, in denen sich mehrere Wirklichkeitserfahrungen überlagern. Der Vollzug ist der Unfall ist der Koitus ist die Aura ist der Höhepunkt des Lebens mit abschließendem Tod.

Vaughan als Projektleiter ist überall da, wo Unfälle passieren oder auch inszeniert werden nach berühmten Vorbildern, zum Beispiel nach James Dean. Er hat eine Entourage, die seine Fantasie teilt. Sobald diese Leute im Auto sitzen oder Videos mit Unfällen sehen, fassen sie sich an, jeder darf mit jedem, spielend werden Geschlechterschranken überwunden. Das wird sehr ausführlich gezeigt, und bald merkt der Zuschauer, dass es mit dem Projekt nicht so weit her ist. Es geht um die Ausweitung der erogenen Zone vom bloßen menschlichen Körper auf die Symbiose von Mensch-Auto mit allem, was dazu gehört wie Narben, Verstümmelungen, Prothesen. In einer sehr lustigen Szene treibt es der mittlerweile auch schon etwas angekrüppelte James Spader mit Rosanna Arquette, die mit einem sehr elegant aussehenden Prothesen-Kleid-Panzer ausgestattet ist, auf der Rückbank eines Wagens, und James, im Film ein Regisseur mit dem gleichen Namen wie der Autor der Romanvorlage, entdeckt plötzlich eine riesige Narbe an der Wade seiner Gespielin, die nichts anderes ist als eine monströse Vagina, in die James sofort einfällt. Wenn man hier weiterdenkt, lässt sich alles einbinden, sobald man am Steuer sitzt: Nicht umsonst stoßen die Fahrer der Projekt-Gemeinde so häufig in Autolücken, also Löcher, ruckweise ein und vor, fahrend erleben wir die Welt als Spalte und Füllhorn, und es ist nur eine Frage der Zeit und des optimalen Timings, wann hier zum Tod trompetet wird.

Die Geräuschkulisse dieses Films ist in der Tat erstaunlich. Ein elegisch-pathetisches E-Gitarrenmotiv durchzieht den Film, die Männer schnaufen parallel zum Rasseln des Motors, Bild- und Fremdton feiern so gelungen Hochzeit wie der Fahrer mit seiner Angetrauten, dem Auto. Und genau so wichtig wie die Klangpausen sind die Fahrpausen der Helden, wo sie zum Beispiel wehmütig auf dem Nordbalkon (diese Beobachtung verdanke ich Nora Sdun) eines Hochhauses stehen und den riesigen Schatten betrachten, den die Sonne auf den 10-spurigen Highway wirft. Auf der Sound-Ebene funktioniert der Film ziemlich perfekt. Er hält auch eine bestimmte Spannung von vorne bis hinten durch, obwohl keine spannende Geschichte erzählt wird. Aber was den technischen Vorführeffekt angeht, den Laboreffekt einer ausgesponnenen Symbiose von Körper und ihn auffangenden und umschließenden Panzer, so muss man wohl sagen, dass Autos keinen alleinigen Besitzanspruch auf Sex haben. Im Gegenteil, je weiter die Fantasie vorangetrieben wird, desto komischer wird sie. Das dürfte ein Grund dafür sein, warum das Grundtempo von „Crash“ sehr langsam ist. Das Pathos des Projekts empfiehlt sich narkotisierend. Auch die Autos fahren nicht schnell, sie pendeln zwischen Trotten und Gasgeben, vorfahren und sich zurückfallen lassen, der geräuschverstärkte Effekt wirkt wie Hypnose. Und genau diese hypnoiden Zustände, in die mit dem Fahrer auf der Leinwand auch der Zuschauer einfällt, sind dann eben so wunderbar isoliert, dass da alles hineingepackt werden kann, was man braucht, um im Kino glücklich zu sein. Bis zum nächsten Unfall. Und da lass ich die Fiktion gerne los.

 

Dieter Wenk