13. Oktober 2003

Unamerikanisch

 

Wer einmal ein Drehbuch in den Händen gehalten hat, ist immer wieder erstaunt, wie aus den abstrusen Handlungssträngen und Charakterbeschreibungen jemals ein stimmiger Film werden kann. Und so ist „Das Buch zum Film“ oder das Originalmanuskript auch meist nur etwas für Kenner und Liebhaber. Bei einem Buch über Hollywood ist es wohl nicht ganz abwegig, den Plot als Drehbuch aufzuziehen, die Gefahr allerdings groß, eben auch wie ein solches zu wirken.

 

Bei Douglas Couplands neuem Roman „Miss Wyoming“ ist diese Strategie mehr als aufgegangen. Die zahlreichen kurzen Szenen, die den Leser kreuz und quer zwischen Personen, Orten und Zeiten hin und her springen lassen, geben dem Buch eine Spannung, die der erzählten Geschichte und den beschriebenen Personen gar nicht gerecht geworden wäre.

 

Die Handlung ließe sich in wenigen Sätzen nacherzählen. Schauplatz: Hollywood. Mann und Frau treffen sich. Bevor sie sich näher kommen, verschwindet die Frau unerklärlich. Er sucht und findet sie. Das Verschwinden klärt sich. Happyend.

 

Das wäre nichts weiter als ein schlechter Film. Als Buch unerträglich. Doch Coupland versteht es, durch Parallelstrategien, den Leser in den Bann zu ziehen. Die kleinen Häppchen, die uns serviert werden, verknüpfen sich wie in einem Krimi zu immer größeren Zusammenhängen. Und die Charaktere der Protagonisten gewinnen langsam an Farbe.

 

Dass dies gelingt, ist nicht selbstverständlich, denn anders als bei Couplands Klassiker „Generation X“ haben wir es hier nicht mit wirklich interessanten Menschen oder neuen Strukturen zu tun. Von der Medienwelt Hollywoods haben wir auch schon genug gesehen und gehört, als dass uns der Werdegang einer Schönheitskönigin zu einer mittelklassigen Fernsehseriendarstellerin oder das Leben eines wenig erfolgreichen Actionfilm-Produzenten noch vom Hocker reißen könnte.

 

Vergleichbar mit der Entwicklung von Bret Easten Ellis´ von „Unter Null“ bis „Glamorama“ sind auch bei Coupland die Menschen mittlerweile erwachsen geworden. Aus den früheren Slackern sind medientaugliche und medienbestimmende Unternehmer geworden. Und doch haben diese nicht alle Träume aufgebenen.

 

Die ehemalige Schönheitskönigin Susan Colgate kommt bei einem Flugzeugabsturz als einizige mit dem Leben davon und nutzt ihren vermeintlichen Tod, um unterzutauchen und neu anzufangen. Der Produzent John Johnson beschließt nach einem Drogenabsturz, seinen Job hinzuschmeißen und ein Leben auf der Straße zu führen. Nicht ohne Einwände seiner besten Freunde, die ihm zu bedenken geben, die Kerouac-Romantik wäre out. „Die Straße ist Vergangenheit, John-O. Sie war eigentlich nie aktuell.“

 

Als John deutlich machen will, wie ernst es ihm damit ist, ein neues Leben zu beginnen und er ankündigt, nicht nur seinen Namen in „Dot“ (= Punkt. Da ihm im Rathaus gesagt wird, sein neuer Name müsse wenigstens aus einen Anschlag bestehen) zu ändern, sondern auch seine Staatsbürgerschaft abzulegen, wird ihm nur erwidert: „Ach, John-O, das ist keine gute Idee. Es ist ... es ist ... unamerikanisch.“ Besser lässt sich die Unmöglichkeit von Flucht oder Neuanfang wohl kaum beschreiben. Dass es dennoch zum glücklichen Ausgang kommt, schuldet wohl weniger der Erwartungshaltung Hollywoods, als der ironischen Haltung Couplands ihr gegenüber.

 

Gustav Mechlenburg

 

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Douglas Coupland: "Miss Wyoming",  Hoffmann und Campe 2001Douglas Coupland: "Miss Wyoming",  Hoffmann und Campe 2001