13. Oktober 2003

Unartige Pop-Art

 

Ein Kunst-Merkheft für Ungeduldige und Interessierte

 

Von Gustav Mechlenburg

 

Wenn auch die Popliteratur zur Zeit keinen guten Stand hat in den deutschen Feuilletonredaktionen - mit dieser Art Genre wird es so bald nicht zu Ende gehen. Erst recht in der Musikbranche wird die Idee des Pop trotz oder gerade wegen der derzeitigen Retro-Moden auch in weiter Zukunft wohl das größte Marktsegment bleiben. Wie aber ist es um die Pop-Art bestellt? Ist es richtig, sie historisch auf den Zeitraum zwischen den 60er und 70er Jahren anzusiedeln und sie damit einer bestimmten, aber überholten Epoche zuzuordnen?

 

Martin Büsser hat sich innerhalb der vom Rotbuchverlag herausgegebenen Reihe mit Namen "Rotbuch 3000" des Themas Pop-Art angenommen. Die in diesen schmalen Bändchen versuchten Begriffsbestimmungen wirken auf den ersten Blick zumindest mutig. Auf 90 kleinformatigen Seiten, abzüglich Bildern und Freiraum, ist nicht viel Platz, um wirklich tief in die Materie einzutauchen. In einer Kritik der "Frankfurter Rundschau" war bezüglich der Reihe von "einer Abiturhilfe für den lesefaulen Oberstufenschüler" die Rede. Wenn das Projekt tatsächlich vorhätte, der Menschheit bis zum Jahr 3000 alle wichtigen Themengebiete nahe zu bringen, wäre die Kürze der Bände allerdings nur zu verständlich.

 

Interessant wird so ein Unternehmen aber dadurch, wenn von vorne herein nicht die Illusion einer alles abdeckenden Studie vermittelt oder mit einer privilegierten Meinungsführerschaft geliebäugelt wird, sondern wenn eine bestimmte Stoßrichtung erkennbar wird, mit der ein Autor einen Themenkomplex zu behandeln versucht. Genau dies ist Martin Büsser mit "Pop-Art" gelungen.

 

In seinem Buch werden nicht einfach die altbekannten Größen dieser Kunstrichtung wie Andy Warhol oder Roy Lichtenstein dargestellt, es geht hier vielmehr darum, die Entstehung und Bedeutung der Pop-Art aus ihrem geschichtlich-gesellschaftlichen Zusammenhang heraus zu verstehen. Büssers These ist, dass die Kunst sich in den 60er Jahren bewusst den Bildern und Mythen des Alltags zugewandt hat. Veranschlagt man die Verbindung von Leben und Kunst als Hauptkennzeichen der Pop-Art, so können selbstverständlich bereits die Ready Mades von Marcel Duchamp und noch viel mehr bestimmte Elemente des Dadaismus als Vorläufer gelten.

 

Kunstgeschichtlich stellt Pop-Art aber eine Ablösung vom abstrakten Expressionismus dar. Wahrnehmungspsychologische Fragestellungen und Fragen nach den Grenzen von Kunst und Wirklichkeit bestimmen anfangs die Werke. In einer weiteren Phase wird Pop-Art schrill, plakativ und populär. Hierbei nimmt der industrielle Aspekt sowie die Anonymisierung sowohl im Inhalt als auch in der Produktion einen großen thematischen Raum ein.

 

Das Interessante an Büssers Ansatz ist nun aber sein den gesamten Band bestimmendes Argument, dass Pop mehr heißt als populär. Nachdrücklich macht er auf die Mehrdeutigkeit der Pop-Art aufmerksam. Neben der affirmativen gäbe es eine kritische Lesart. Er spricht davon, dass Scheinaffirmation Kalkül hatte, dass die gelungensten Werke die waren, die es verstanden, "Protest im kommerziellen Gewand" auszudrücken und dass die Gesellschaft durch die Pop-Art in ihrer ganzen Lächerlichkeit entlarvt werden sollte.

 

Dabei ist er sich seiner einseitigen Blickrichtung durchaus bewusst. Spricht er doch ganz am Anfang schon davon, dass es natürlich vorwiegend um massenmedial vermarkteten Mainstream ging und geht, viel spannender aber die Beschäftigung mit der kritischen Seite der Pop-Art sei. Das ist nicht zu bestreiten und bleibt doch fraglich, ob diese wohl eher aus dem popmusikalischen Diskurs stammende Dissens-Attitüde auf die Pop-Art anwendbar ist.

 

Offene Gesellschaftskritik, weiß auch Büsser, trat in der Pop-Art selten zutage. Und doch ist die Pop-Art kein isoliertes Phänomen. Sie ist ein typisches Kind der 60er Jahre mit ihrem Glauben an eine bessere Zukunft. Diesbezüglich sind auch die Kapitel erhellend, die der amerikanischen Strömung die englische und die deutsche Variante gegenüber stellen. Pop ist in England immer schon etwas Vermitteltes. Eine importierte Bildsprache, zu der man sich in kritischer wie humoristischer Distanz verhielt. Deutschland fehlte die amerikanische Hingabe an die Oberfläche und der britische Witz. Hier wurden zivilisationskritische Töne in der Kunst verarbeitet. Von Pop-Art im engen Sinne lässt sich hier dann allerdings auch schon nicht mehr sprechen. Als Begriff einer bestimmten Kunstepoche bleibt Pop-Art auf die Zeit der 60er und 70er Jahre beschränkt sowie auf einen optimistischen Impetus.

 

Worin Büsser auf jeden Fall zuzustimmen ist, ist sein Hinweis darauf, dass Pop-Art, auch wenn man sie nicht selbst als ,kritisch' einschätzen mag, doch zumindest einen kritischen Kunstdiskurs eröffnet hat. Elemente wie Reflexion, Ironie, Kritik und Mehrdeutigkeit erhielten durch sie Einzug in die populäre Kultur. Grund genug, Pop auch heute wieder gegen seine kulturpessimistischen Verächter zu verteidigen, ganz gleich wie gerecht man den Pop-Künstlern mit diesem Vermächtnis auch wird.

 

Martin Büsser: Pop-Art.

Rotbuch Verlag, Hamburg 2001.

96 Seiten, 8,60 EUR.

ISBN 3434535241