10. Februar 2006

One Million Dollar, Baby

 

Habgier ist bekanntlich eine Schwäche der unteren Stände. Und doch verbirgt sie nur die große Sehnsucht des Plebs nach gerechterer Verteilung. In diesem Sinne sollte man den Gemeinplatz bedenken, dass der Gärtner immer der Mörder ist, wovon dieser Film eine Variante darstellt und zugleich einen Beleg dafür abgibt, dass es nicht entsprechend viele Gärtnerinnen gibt, die vielmehr beim Bestellen des Feldes den Tod finden. Ganz so platt wie der Gemeinplatz sieht der Film allerdings nicht aus. Er trägt das unwiderstehliche Habit der 50er und 70er Jahre, deren Abfolge gerade am Anfang des Films schön in Unordnung gerät und für Verwirrung sorgt. Die schöne Leiche, die man dann irgendwann sieht, gehört schon mehr ins erotische Museum als in die wie auch immer zusammenzusetzende Chronologie eines Thrillers, der noch auf seinen Katalysator wartet. Oder ist die Leiche in der Badewanne eines schicken Hotels gar ein entferntes Element der Show der beiden Komiker Lanny Morris und Vince Collins? Oder stimmt gar etwas nicht mit der Leiche, die so seltsam ätherisch in einem ihr fremden Element, dem Wasser, sich ein letztes Mal zur Schau stellt? Da dies kein Polizeithriller ist, gräbt die Polizei nicht weiter nach. Sie ist mal wieder die Dumme. Journalisten sind eigentlich nie dumm, auch wenn sie wie hier Karen O’Connor ein nicht ganz gefühlsfreies, aber schon entschieden aus dem Teenager-Stadium herausgekommenes Adorationsverhältnis zu vor allem Lanny aufgebaut haben. Kareen möchte wie einst ihr Vater, ebenfalls Journalist, aber schon tot, ein Buch über Vince schreiben. Sie gehört eher zur investigativen Sorte dieser Berufsgruppe, was aber nicht verhindert, dass sie Frau bleibt und sich gehörig verliebt. Und natürlich enttäuscht wird. Da der Film ziemlich rasch viele Puzzleteile ausstreut, die zudem in die vierte Dimension hineinragen, und der Zeitpfeil behänd zwischen Vergangenheit (die glamouröse Zeit des Komikerpaars, der emotionale Auftrieb der Journalistin als kindergelähmtes und quasi von Lanny und Vince geheiltes Kind, die schöne Leiche) und Gegenwart (der Entschluss, ein Memoirenbuch zu schreiben, die Interviews, die plötzlich Recherchecharakter in Sachen schöner Leiche annehmen, die erotischen Geschichten mit den Komikern) hin und herpendelt und man nicht weiß, wo denn jetzt der beruhigte analytische Punkt liegt, von dem aus sich die Fäden in die jeweiligen Zeitzonen ziehen lassen, hat der Betrachter immer ein ganzes Paket an Eindrücken und Versionen von Erzähltem und Geschriebenem zu berücksichtigen, die ihn selbst zum irritierten Sozius der Journalistin machen. Langsam kommen nicht so glamouröse Dinge ans Licht, aber das Licht blendet auch. Krabben ziehen vorbei, die nie zu ihrer eigentlichen Bestimmung finden, nämlich verspeist zu werden, Beobachtete werden zu gewieften Beobachtern, die das erotische Klima anheizen und dafür sorgen, dass die Recherchen einen dramatischen Charakter annehmen. Irgendwann liegt etwas verrucht Fatales in der Luft, und man ist fast erleichtert, als man dann diese Bilder mit Maureen, der Hotelbediensteten, sieht und ahnt, was da geschehen sein mag. Aber auch das war es anscheinend noch nicht. Nachdem die Hauptbeteiligten die Hosen heruntergelassen haben und die Wahrheit der Bisexualität für unmögliche und erstaunliche Lagen gesorgt hat, werden die Fäden noch einmal vertäut und an jemanden zurückgebunden, der der Beiläufige schlechthin ist, der Butler. Von ihm lässt sich lernen, dass es nicht so sehr auf die O-Töne ankommt von Leuten, wie bekannt sie auch sein mögen, sondern darauf, dass man die Töne zum richtigen Zeitpunkt aufzeichnet, ohne dass man es merkt. Diese Wahrheit ist dann allerdings nicht mehr judiziabel. Der Lerneffekt dieses Films ist also dann doch nicht so groß, oder er liegt eben genau darin, dass die Wahrheit nicht verfügbar ist und das Kino, mehr noch als trockene Memoiren, den schönen Schein weiterpflegen und auch noch zeigen kann, warum das so ist.

 

Dieter Wenk (02.06)

 

Atom Egoyan, Wahre Lügen (Where the Truth Lies), CAN/USA/GB 2005, Kevin Bacon, Colin Firth, Alison Lohman