5. Dezember 2005

Kontrolle im Dunkeln?

 

„Global Intelligence“, wie das Buch im Original heißt, ist keine wie auch immer abstrakte Vorlage für einen Agententhriller. Auch wenn hier und da Namen von Spionen fallen (meist, wenn sie Mist gebaut haben), werden sich keine Assoziationen zu James Bond einstellen. Die beiden Autoren verfolgen keine Auftragsarbeiten einzelner Personen, sondern verorten ihre Untersuchung an einer Umbruchstelle in der Geschichte der „secret services“ und stellen die Frage, was das Ende des Kalten Kriegs für die wichtigsten der in ihn involvierten Geheimdienste bedeutet hat. Sicherlich nicht ihre Auflösung, wie jeder weiß.

 

Nach 1989 brach das Kapitel der Diversifizierung an. Neben die nach wie vor virulente politische Spionage trat die Wirtschaftsspionage, der Kampf gegen internationales Verbrechertum, die mannigfache Privatisierung von Spionagediensten und, ab Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts, der „Krieg gegen den Terrorismus“, bei dem Todd und Bloch zu recht fragen, auf welchem Feld sich Agenten und Terroristen begegnen, genauer: inwiefern der Staat selbst durch dazwischengeschaltete Spione Gefahr laufe, in eben jenem Schattenreich zu agieren, in dem sich auch Terroristen tummeln. Ist ja schon traditionell der dritte Bereich von „Intelligence“, neben Spionage und Gegenspionage, den „verdeckten Operationen“ (Covert Action) gewidmet, die darauf angewiesen sind, durch „Abstreitbarkeit“ (deniability) den Weg der Operation an den entscheidenden Stellen undurchsichtig machen zu können.

 

Anders als bei Terroristen gibt es hier natürlich keine Bekennerschreiben. An die Stelle der politischen Blöcke trat nach 1989 also vor allem die Ortlosigkeit des Gegners. Terroristen sind keine Kandidaten für eine Doppelagentur. „Human Intelligence“ der Spionagedienste wird also vor allem eingesetzt, um die durch die technische Revolution ermöglichte immense Datensammlung zum Beispiel durch „data mining“ auszuwerten in der Hoffnung, die berühmte Nadel in Gestalt einer „hot-bot“-Sequenz (Telefonnnumer etc.) zu finden. In den Augen mancher Geheimdienstchefs, so Todd und Bloch, ist die Welt dazu da, eine Scanfläche für Suchmaschinen der secret services abzugeben. In einem gesonderten Kapitel werden die hierzu erforderlichen Techniken vorgestellt und die Verschiebungen nachgezeichnet, die sich auf diesem Terrain im Verlauf der letzten zwanzig, dreißig Jahre ergeben haben.

 

Ohne in Sarkasmus zu verfallen, machen die Autoren aus ihrer Einstellung zu bestimmten Politiken als einem bisweilen verheerenden Zusammenschluss von Regierungsgewalt und Spionagedienstempfehlung keinen Hehl. So wird etwa die Malaise untersucht, in die sich die USA begeben haben, als sie sich dem schlichten Dogma unterstellten, dass es gut sei, den Feind des eigenen Feindes zu unterstützen, konkret den Feind der UdSSR, also fundamentalistische Islamisten, Taliban. Dialektisches Denken kann man manchen Leuten in den entscheidenden Positionen nicht unbedingt unterstellen, wie etwa Robert Gates, ehemaliger Direktor der CIA, in dem Bekenntnis: „Offen gestanden, es hat uns nicht besonders interessiert, wie das post-sowjetische Afghanistan aussehen würde.“

 

Und ohne dass es hämisch klingt, lässt sich gut nachvollziehen, wenn Todd und Bloch behaupten, dass Israel keine wirkliche Außenpolitik habe, sondern lediglich eine Verteidigungspolitik. Die Kapitel, in denen die Spionagetätigkeiten einzelner Länder oder Regionen vorgestellt werden, ist außerordentlich dicht, manchmal zu dicht, hat man doch als bloß zeitungslesender Interessierter nicht den Zugriff, der den sich daraus ergebenden Weg der Beschreibung hin und wieder selbst zu einem Geheimpfad werden lässt. Ein Appetitanreger ist das Buch in jedem Fall. Es schließt mit einem bedrohlichen und einem Hoffnung machenden Aspekt. Auf der einen Seite verheißen die US-amerikanischen Reaktionen auf den 11. September 2001 nichts Gutes, insofern die „Zivilgesellschaft“ in Gefahr gerate, durch die mannigfachen Einschränkungen den nötigen Platz zu atmen zu verlieren. Auf der anderen Seite stimmen Entwicklungen in Australien und Kanada optimistisch, insofern dort Anstrengungen unternommen werden, Geheimdienstangelegenheiten – wie sehr das überhaupt möglich ist – einer demokratischen Dienstaufsichtsbehörde zu unterstellen.

 

Dem Buch ist eine Broschüre beigelegt: „Handbuch für den Staatsbürger – Wie man sich über Geheimdienste informiert“. Hier sind auf gut zwanzig Seiten zahlreiche Internetadressen versammelt und kurz vorgestellt. Was bei einer zweiten Auflage unbedingt verbessert werden muss, ist die Artikelvergabe hinsichtlich der Abkürzung von Geheimdiensten wie CIA und FBI. Das geht hier leider wie Kraut und Rüben durcheinander, mal heißt es die CIA, dann wieder der CIA (der Duden erlaubt beides, auf einen Artikel innerhalb einer „Einheit“ einigen sollte man sich trotzdem), die USA werden konsequent falsch im Singular verhandelt, manchmal heißt es auch einfach nur: die US (dann aber im Plural). Die „Palästinensische Autoritätsbehörde“ heißt im Englischen auf Englisch so, im Deutschen natürlich „Autonomiebehörde“. Und die Berliner Mauer fiel nicht im September 1989, sondern am 9. November 1989. Aber das sind Kleinigkeiten, die den Wert dieses Buchs als informative Anregung nicht schmälern, das auch von der Gestaltung sehr gelungen ist.

 

Dieter Wenk (11.05)

 

Paul Todd/Jonathan Bloch, Globale Spionage. Geheimdienste und ihre Rolle im 21. Jahrhundert, aus dem Englischen von Nadine Miller, Berlin 2005 (Matthes & Seitz Berlin); Global Intelligence. The world’s secret services today, London, New York 2003 (ZED Books)

 

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