14. November 2005

Deine Rede sei „nein, nein“

 

„Das Ganze ist das Unwahre“: Adornos Auskunft zum entwicklungslogischen Stand der Gegenwart hätte der italienische Ästhetik-Professor durchaus als Titel seiner zweigeteilten polemischen Broschüre wählen können. Denn Perniolas Verständnis von „Kommunikation“ ist weit entfernt von einem schlichten linguistischen Sender-Empfänger-Modell mit dazwischengeschaltetem Kanal. Es heißt bei ihm immer nur „die Kommunikation“, und was darunter zu verstehen ist, ist fürchterlich. Es geht dabei nicht um Verständigung oder vernunftgeleitete Versuche der Konsensbildung. Die Kommunikation, lässt man sie noch länger währen, bedeutet den Untergang des Abendlands. Sie ist eine Krankheit, ein Geschwür, das sich Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts durchgesetzt habe mit dem Ergebnis, dass sich das Gehirn der von ihr Betroffenen – und das sind irgendwie alle – in einen puddingartigen Brei verwandelt habe, in dem alles schön durchgerührt werde.

 

Es ist ein bisschen schwierig, der Argumentation des Italieners zu folgen. Am besten ist es, man macht da weiter, wo Baudrillard den abstrakten Täuschungsmechanismus festgemacht hat, nämlich im alles reg(ul)ierenden Code. Dieser präjudiziert alle Tausch- und Täuschungsmanöver. Es gibt nichts, was seinem nihilistischen Changieren entkommt. Das „System“ hat schon alle Plätze besetzt, inklusive subversiver Tätigkeiten. In einem solchen Modell ist für substantielle Differenz kein Platz. Die Kommunikation, so Perniola, schaffe alle Gegensätze ab, sage sowohl ja als auch nein als auch vielleicht, spiele alle Möglichkeiten zynisch durch, jage diese durch die wabbeligen Hirne des Zeitgenossen und schaffe es so, dass diesem ein veritables Gedächtnis nicht mehr zur Verfügung steht. Die Kommunikation schafft Tabula-rasa-Zeit. Wie die Psychose bewirke die Kommunikation Zustände diesseits der symbolischen Ordnung. Man steht vor den Scherben des zerschnibbelten borromäischen Rings.

 

So viel erst mal zum negativen Eklektizismus Perniolas. Man weiß ungefähr, was er meint, aber das liegt vor allem daran, dass man die Denkfigur schon kennt. Adorno, Heidegger, Lacan, Baudrillard etc. gut durchgeschüttelt. Das Authentische, für das er sich stark macht, bleibt auf der Strecke. Man weiß nämlich nicht, wo es herkommen soll – nur so viel: Es hat viel mit Bildung, Polaritäten und alteuropäischen charakterologischen Werten zu tun, wogegen ja gar nichts einzuwenden ist, wenn Perniola nur nicht so fürchterlich idealistisch sich gerieren würde. Einmal mehr das Mapping der happy few. Und der Königsweg der Königskinder? Einmal mehr das „Ästhetische“. Um dies geht es im zweiten Teil dieses Pamphlets. Es soll der Antikörper im Kreislauf der Kommunikation werden. Ganz im kantischen Sinn wird das Interesselose des ästhetischen Erlebnisses stark gemacht. Dadurch entziehe man sich dem ökonomisch grundierten Hunger der Kommunikation.

 

Durch das Ästhetische schaffe man sich wieder ein Gedächtnis, man lade gewissermaßen Positionen, die es erlauben, dort Konflikte zu sehen, wo die Kommunikation alles einebne (der Leser frage nicht, wer hinter der Kommunikation stehe, das wird weder medientheoretisch noch machtanalytisch geklärt – es bleibt sowieso offen, wie es bei der postulierten Totalität der Kommunikation zu Nischen wie der Perniolas selbst kommen kann: Das ist die Kalamität jeder Dekadenztheorie, die sich total gibt, aber dennoch einen Platz reservieren muss, von der aus die Wahrheit sprechen kann, die Befeiung, die Erlösung etc.). Letztlich klebt Perniola an seinem Schreckgespenst, und nichts ist so gewiss, als dass er mit ihm untergeht wie einst Ahab mit dem weißen Wal, der potentiell überall sein konnte. Der Ozean ist groß genug, den Schrott und sein vermeintliches Gegenteil aufzunehmen.

 

Dieter Wenk (11.05)

 

Mario Perniola, Wider die Kommunikation, aus dem Italienischen von Sabine Schneider, Berlin 2005 (Merve), 110 Seiten; Contro la communicazione, Turin 2004 (Giulio Einaudi)

 

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