13. November 2005

Umstelltes Leben

 

„Das emblematische Verfahren gründet sich auf die Vorstellung, dass die Welt in all ihren Erscheinungen von heimlichen Verweisungen und verborgenen Bedeutungen, von entdeckungsfähigen Sinnbezügen erfüllt sei...“ Das verschwörungstheoretische Gemunkel und Geraune über die Pyramide auf den Dollarscheinen gehört dazu genauso wie die flächendeckende Tätowierung der Bevölkerung mit sonderbaren, aber eben ausdeutbaren Zeichen. Vage, aber prägnante Motive bilden den anregendsten Gesprächsgegenstand.

 

Die Bewertung, ob es nun ein langweiliges Gespräch war oder nicht, fällt 2005 nicht viel anders aus als um 1650. Lediglich die Gesprächsbedingungen haben sich verändert.

 

Keine Musik, es sei denn life, kein Fernsehen, höchstens Schauspiel, auch life, keine Plakate, weder für Zigaretten noch für Urlaubsreisen, keine Fotos. Informationen bewegen sich langsam. Sport gehört nicht zur Freizeitgestaltung, schon gar nicht für Frauen. Weite Reisen sind riskant. Worüber wollen wir sprechen?

 

Untersuchungen zur Gesprächskultur in vormassenmedialen Zeiten bewegen sich stets im höfisch adeligen oder großbürgerlichen Milieu, nicht weil andernorts keine Gespräche geführt wurden, sondern weil keine Artefakte, (wie z.B. die bunte Kammer im Herrenhaus Ludwigsburg oder die Emblembücher), die von dem gesellschaftlichen Ereignis zeugen, überdauern konnten. Gesprächskultur lässt sich anhand von Emblemen rekonstruieren. Auch Realienkunde des Barock wird nachvollziehbar, man sieht Landkarten, konkret ortspezifische Elemente, Globen, Armillasphären, technische Geräte, Kriegsgerät.

 

Embleme erzählen von dem Bildungsstandard der Zeit. Sie sind ein Kulturspiegel mit Zug zur Wirklichkeit, obgleich die Motive von Fabelwesen und Sagengestalten nur so strotzen.

 

Die Embleme funktionieren aufgrund der spielerischen Befrachtung mit mehrdeutigen Elementen. Drei Teile hat ein musterhaftes Emblem: Eine Überschrift (Präskriptio), ein Bild (Pictura) und eine Unterschrift, z.B. ein Vers (Subskriptio). Das heißt nicht, dass es nicht auch Sinnbilder ohne Text oder Sinnsprüche ohne Bild gibt.

 

Wenn man die verschiedenen Elemente in Text und Bild identifiziert hat, kann man sich sogleich heiter über ihre Verbindungen und die jeweiligen Ausdeutungen in die Haare kriegen. Das Selbstverständliche ist nicht der geeignete Gesprächsanlass, sondern das dunkle, gelinde Verworrene.

 

Die Emblematik steht nicht in Konkurrenz zur Tafelmalerei, das heißt, die Embleme müssen nicht harmonisch, perspektivisch korrekt und technisch brillant sein. Mühsame Bilderfindungen sind nicht nötig. Obwohl man Text und Bild neu Kombinieren kann. Die Motive müssen erkennbar sein, da man sie sonst nicht deuten kann. Die Wirkungsweise der Tafelmalerei bewegt sich zu damaliger Zeit, genauso wie heute, im Rahmen einer Andacht und im Bereich von Gefühlserpressung. Man ist begeistert, gerührt oder erschlagen und nicht unbedingt zu Gesprächen aufgelegt, außer als Kunsthistoriker. Die Wirkungsweise der Embleme zielt auf das Gespräch.

 

Im Zuge der Reformation entwickelte sich sowohl im katholisch gegenreformatorischen, wie im protestantischen Lager eine erneuerte Spiritualität. Der Gesprächsbedarf wächst, wenn es Konkurrenz gibt. Es ist die intellektuelle Wiedereinführung und Aneignung alt bekannter Themen unter neuen Voraussetzungen. Die Gesellschaft ist nun beteiligt an der Deutung der geistigen Inhalte, die vormals ausschließlich eine Domäne der Kirche war.

 

Ein weiterer Aspekt ist die von den Protestanten geschmähte Heiligenmalerei. Die Entwicklung der Genremalerei gibt beredtes Zeugnis von dem Transfer der Inhalte aus der Kirche in die säkulare Gesellschaft. Ein riesiges Arsenal an Insignien fällt aus den Händen der Heiligen in den nichtkirchlichen, weniger dogmatischen weltlichen Bildermarkt, denn verzichten will natürlich keiner auf die Jahrhunderte lang fabelhaft ausgefeilten Sinn- und Bedeutungszusammenhänge, sie tauchen nun also verstärkt in abstrahierter Form, das heißt, auch unabhängig von ihrem Sinnpartner-Inhaber in Emblemen auf. (Jakobsmuschel ohne Jakobus, Shellboykott) Diverse Bildzeichen erscheinen abgekoppelt von ihrem ursprünglichen, in rituelle Räume eingebundenen Zusammenhang.

 

Voraussetzungen für ein interessantes Gespräch sind also, ikonografische Kenntnisse, die Symbolik der Bildbestandteile ist spitzfindig, voller Doppelbedeutungen und auch einander widersprechender Sinngebungen. (So steht das Schwert für heldenhaften Kampfesmut genauso wie für mutwillige Streitlust.)

 

Die Fülle der Implikationen lässt sich nicht an einem Nachmittag ausloten. Kenntnisse über griechische und römische Sagen sowie biblischer Geschichte christlicher Legenden und den älteren und aktuellsten wissenschaftlichen und politischen Erkenntnissen waren erforderlich, um ein Gespräch in Gang zu halten.

 

Die Auswahl der Embleme (die z. B. In der bunten Kammer des Ludwigsburger Herrenhauses angebracht sind) bringt dabei die gesellschaftlichen und kulturellen Ansprüche des Hausherren zum Ausdruck. Es waltet eine enzyklopedische Weltauffassung in den Gruppierungen dieser kleinen Bilder wie in den Wunderkammern damaliger Zeit. Es sind ideelle Abbilder der ganzen Welt. Auch Embleme, die vereinzelt auf Spielbrettern, Kaminsimsen und Gerätschaften angebracht sind, geben dem jeweiligen Ding sogleich eine inhaltliche Richtung. Man kann einander sehr schön unauffällig belehren, wenn man scheinbar nur über kleine variierende Motive spricht. Und wie einprägsam Belehrungen sind, wenn man ein Bild dazu anschauen kann, ist bekannt. Die mit Äpfeln und Tieren markierten Kleiderhaken in den Kindergärten sind nur der Anfang für ein Leben, was immer noch von Bildbelehrungen umstellt ist.

 

Nora Sdun

 

Arthur Henkel, Albrecht Schöne: Emblemata, Metzler 1996

 

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