7. November 2005

Das Bilderbuch von St. Pölten

 

Die penible Steuermannskunst des Manipulationswesens hat eigentlich schon Wolfgang Bauer nicht mehr interessiert, als er in seinem an der Jahreswende 1968/69 geschriebenen Stück „Change“ das in den Anfangsgründen stecken gebliebene kybernetische Kabinettstück von Oswald Wiener und Konrad Bayer eben nicht literarisch umsetzte, sondern es bei der Kolportage beließ, weil ihn andere Mechanismen interessierten. Die Wiener Avantgarde hatte einiges nachzuholen, und so überlegten sich Wiener und Bayer im günstigen Moment des Zusammentreffens kybernetischer Hochzeit und avantgardistischer Überführungswünsche von Kunst in Leben, „inwieweit es möglich ist, jemandem (sprachlich) eine Wirklichkeit zu projizieren, die diesem als einzigen Ausweg den Selbstmord belässt.“ (Ulrich Janetzki) Der Plan (Bayer managt Robert Klemmer) wurde nicht umgesetzt. Ironie des Schicksals: Konrad Bayer hat sich trotzdem umgebracht, quasi in Stellvertretung.

 

„Change“ endet zwar genau mit diesem Tableau des Selbstmords des Manipulators, aber das Stück ist alles andere als ein Experiment, das den Vorgaben der Manipulierenden folgt und so die Unausweichlichkeit eines determinierten Prozesses aufzeigt. In der diesjährigen Inszenierung von Georg Schmiedleidner am Wiener Volkstheater ist schnell klar, dass die „Manipuläschn“ des Malers Fery keine Aussicht haben, sich mit der Würde eines naturwissenschaftlichen Experiments zu schmücken. Er, Fery, ist nicht viel mehr als eine Station, die andere passieren müssen, um auf sich aufmerksam machen zu können. Genau das realisiert der anfangs unterschätzte Provinzmaler Blasius Okopenko alias Schweinchen-Schlau, der sich als absolut renitent gegenüber den schwächlichen Steuerungsversuchen Ferys erweist. Blasi macht zwar bei allem mit, aber er verbucht alles auf der Haben-Seite, während Fery die Felle davonschwimmen.

 

Es geht also gar nicht um nicht umsetzbare Avantgarde-Fantasien, sondern schlicht und einfach um typische Einblicke ins Fahrwasser des Kunstbetriebs. Der hatte vor 35 Jahren natürlich noch einen völlig maskulinen Anstrich. Frauenrollen in „Change“ sind dementsprechend auf der Ebene des restringierten Codes anzutreffen. Mehr als Groupie-Dasein oder Geldspenderin ist nicht. Dass der Betrieb immer noch nach Spektakel und Skandal geht, spricht nicht unbedingt gegen ihn, sondern gegen den Konsumenten, der es gar nicht anders haben will. Die Skandalträchtigkeit der Kunst als ewiger Grenzwert, Hundertmeterläufer kriegen es ja auch nicht anders hin. Ferys Aufbauprogramm läuft also von Anfang an in die falsche Richtung, die Täusche, die er Blasi anbietet, sind nicht symbolisch, sondern ganz real und bringen Genuss und Geld auf der einen Seite (Blasi), Verdruss und Schläge auf der anderen (Fery).

 

Das Gespenst der Manipulation entlässt den Realismus der Strategie eines Ego-Shooters des Kunstbetriebs. Ein Gewinner, wer ihn zu nutzen versteht. Künstler, das zeigt die Inszenierung ganz unaufdringlich, sind nicht die schön-wegweisenden Elemente des human-project, sondern Projektile, denen erst mal daran gelegen sein muss, sich an die Spitze zu schießen. Erfreuen tut das niemand, aber es ist sehr unterhaltsam.

 

Dieter Wenk (11.05)

 

Wolfgang Bauer, Change, in: W.B. Werke, Zweiter Band, Schauspiele 1967-1973, hg. von Gerhard Melzer, Graz-Wien 1986 (Droschl), S. 41-99