Space Frame mit Küchenpsychologie

 

Ein Mann hetzt durch die Abfertigungshalle, es hat gerade noch geklappt. Im Flugzeug baumelt, Hierarchien sichernd, der class divider, jene merkwürdige Gardine zwischen erster und zweiter Klasse – gottlob hinter einem. Die Thrombose-Strümpfe jucken, man wird zu spät kommen, obwohl man die 10-Uhr-Maschine bekommen hat. Der Organizer quillt, die Agenda dräut, ist man eigentlich jemals gut vorbereitet gewesen vor Verhandlungen wie diesen? Am Abend wird man wieder allein in irgendeiner futuristischen Hotellobby hängen.

 

Martin Suter, der schweizer Autor veröffentlichte 2000 ein komisches Buch, es heißt „Business Class“ und behandelt in kurzen, launigen Episoden die Welt des Managements, besonders des mittleren Managements. Immer sind diese Männer abgehetzt und vor allem darum bemüht, sich gegenseitig unter den Tisch zu stressen. Und am Abend allein sehen sie wohl genauso bleich aus wie die Männer auf den Porträts von Francis Bacon. Das Zimmer ist leer, es ist spät, der Typ sieht aus wie hinbestellt und nicht abgeholt. Nun schaut er uns an.

 

Diesen Blick gibt es auf den Gemälden des englischen Malers zu sehen, die zurzeit in der Hamburger Kunsthalle ausgestellt werden. Ruhig sind die Porträts der Businessmen und dunkel, nachtblau ist der Grund, nachtblau wie Anzugstoff. Die Gesichter der Männer leuchten fahl. Vereinzelt stehen sie, hängen oder lehnen in futuristischen Konstruktionen. Stahlrohrmöbel könnten es sein, space frames nannte Bacon die Gitterstrukturen, die er zur Stabilisierung und Hervorhebung um die Motive zog.

 

Kein Künstler des 20. Jahrhunderts hat so viel Küchenpsychologie auf den Plan gerufen wie Francis Bacon (1909 – 1992), vom Dämonischen, Bösen, Existenziellem ist die Rede in fast jedem Text zu Bacon. Andrea Rose vom British Council und Christoph Heinrich von der Kunsthalle Hamburg, die die vorzügliche Ausstellung mit den rund 50 Porträts in der Galerie der Gegenwart einrichteten, bemühen sich, die überbordenden Fantasien einzudämmen. Sie betonen die sanfte, zärtliche Seite Bacons, aber gegen Jahrzehnte lang tradierte Klischees von hervorbrechender Dämonie kommt man so schnell nicht an. Auch die Dunkelheit im Kellergeschoss der Kunsthalle nützt eher der bedrückenden Atmosphäre, die man bei Bacon zu finden gelernt hat.

 

Der Einzige, der den Mythos Bacon bricht, ist Bacon selbst. In den neun Interviews, die David Sylvester in den Jahren 1962 bis ’86 mit dem Maler führte, entschleiert Bacon das Entstehen der Kunst und in seinen klaren Formulierungen von der Brutalität der Wirklichkeit schwingt authentische Gelassenheit und ehrliche Selbsteinschätzung.

 

Die viel besprochene Brutalität seiner Malerei besteht nicht in der Sezierung von Gesichtern in voneinander abgelöste Einzelteile, sondern in der Porträtierung der Wirklichkeit als stinknormale Monstrosität. Bacon ist dem Mysterium des Banalen auf der Spur, so wie es auch die Surrealisten zu malen versuchten. Nicht naturalistisch, sondern mit einem gesteigerten Realismus. Wenn man sich zu den Businessmen die Organizer, die frisch gedruckten Visitenkarten und die Fortbildungskurse dazu denkt, die ganze verkrampfte, verzweifelte Selbstaufgabe für irgendein beliebiges Unternehmen, gewinnen die Malereien eine groteske Note. Bacon malt Autoritäten, bläht ihre Kraft und Angriffslust durch gebleckte Zähne auf und attackiert sie im gleichen Zug mit Pinselstrichen, die durch die Köpfe hindurchlaufen, als wären sie gar nicht da.

 

Zu diesem Dualismus passen die im selben Saal gehängten Bildnisse der schreienden Päpste. Bacon malte sie zur gleichen Zeit wie die Geschäftsmänner. Die würdevolle Pose des Papstes im Thronsessel und Ornat wird vom aufgesperrten Mund schauerlich konterkariert. Worüber schauert man, über den Schrei oder doch eher über die Macht, die einem erst durch einen unpassend aufgerissenen Mund bewusst wird? Wenn man mit den Insignien der Papstwürde, dem Pallium über den Schultern und Fischerring an der Hand in einer Kirche schreit, ist das jedenfalls wirkungsvoller, als wenn man es in Traininghosen in seiner Garage tut. Der Schrei kann die gleiche Intensität haben, erst der Raum und das Gewand geben ihm die schauerliche Note. Zeremoniell und Raum spielte Bacon gegeneinander aus. Ihn interessierte, wie ein Schrei bei einem Würdenträger aussieht, nicht warum jemand schreit. Existenziell ist also nur das Erschrecken des Betrachters vor der eigenen Duckmäuserei, da man feststellen muss, wie wenig genügt, um unsere ganze Wahrnehmung nachdrücklich zu verwirren. Versuchen sie doch mal mit schlammigen Gummistiefeln in die Oper zu gehen – toll ist das! Und die zum Schrei geöffneten Münder gibt’s dann nicht nur auf der Bühne.

 

„Wir leben momentan mal wieder in sehr primitiven Zeiten“, erklärte Bacon in einem seiner Interviews mit David Sylvester, „wir haben es nicht geschafft, davon loszukommen, dass Figuren sich Geschichten erzählen.“ Um das Geschichtenerzählen zu minimieren, malte Bacon nur eine Figur pro Leinwand, oder er trennte sie durch Holzleisten voneinander ab. Bacon war überzeugt, dass die Geschichten und die Psychologie die Malerei übertönen. „Ich schleudere Terpentin und Farbe und alles andere gegen das Ding in dem Versuch, die willentliche Artikulation des Bildes zu unterbinden.“ Ein Maler muss in Zeiten brillanter Fotografien den Realismus neu erfinden, Bacon präzisiert knapp: „Der Maler muss abkürzen.“ Was Bacon mit den Porträts macht, geschieht aus ästhetischen Gründen, nicht aus psychologischen.

 

Natürlich sollen die Bilder den Porträtierten ähneln, und wie gut es ihm gelang, kann man auf den in der Ausstellung gezeigten Porträtfotografien überprüfen, aber Bacon war vor allem bemüht, die Bilder scharf und präzise zu halten. Die Bilder sind erstaunlich. Porös und wie von zarten Schleiern verhängt sind einige Gesichter, aber tritt man nahe heran, sieht man die Farbe im Gegensatz zur Fernwirkung akkurat und zentimeterdick auf den Leinwänden stehen. Klar und aufgeräumt sind die Bildräume. Man kann sich nur wundern, wie ein Mann in einem so unbeschreiblich chaotischen und verdreckten Atelier, auch davon gibt es Fotos in der Ausstellung zu sehen, so klare Formen und reine Farben zu malen verstand. Andersherum, aus der Kunsthalle ins Leben gewendet, bedeutet das für die Beobachtung von glatten, kantigen Aktentaschen der Businessmen, dass in den Taschen wohl ein schönes Durcheinander aus trockenen Schulbroten, Kugelschreibern mit hässlichen Aufdrucken, Terminzetteln, Pillenschachteln und Glücksbringern herrscht.

 

Nora Sdun

 

Francis Bacon. Die Portraits. Galerie der Gegenwart, Kunsthalle Hamburg, 14. Oktober 2005 –15. Januar 2006, Bildnisse aus der Zeit zwischen 1949 bis 1991, Entstanden in Zusammenarbeit mit dem British Council und der national Gallery of Scottland, Edinburgh. über 50 Bildnisse aus internationalen Sammlungen, sowie von zahlreichen öffentlichen und privaten Leihgebern. Kurator der Ausstellung: Christoph Heinrich.