13. Oktober 2005

Rorschach Pietät

 

 

Psychologie führt leicht zur Pietätlosigkeit. Aber sogar Thomas Mann war sich sicher, dass diese Indiskretion die naturalistische Seite der Wahrheit bildet.

 

Was man auf den Abbildungen hier rechts leider nicht erkennen kann, zur Sonderbarkeit des Dargebotenen aber erhellend hinzuzudenken wäre, ist folgende Indiskretion: Die drei plakatgroßen Bildtafeln von Siegfried Möst sind in Klarsichtfolie eingeschweißt und zum Aufhängen mit eingeschlagenen Ösen versehen. Sehr stabile Ösen, etwa für Zelt oder Persenning zu gebrauchen. Während des Aufbaus lief der Künstler mit freiem Oberkörper herum und trug zwei ähnlich stabile Ösen durch die Brustwarzen. Diese Indiskretion hilft den Verdacht erhärten, es handele sich bei dieser Produktion und Ausstellung um ein Selbstporträt, als Thermopen-verschweißtes System, was sich selbst von Auflösung bedroht sieht.

 

Zu den vielfarbigen Platten: Es hilft Leuten, nicht durchzudrehen, wenn sie einfach die Sache noch mal machen, also spiegelbildlich, symmetrisch. Spiegelstadien sind ja nicht nur narzisstischer, sondern vor allem systematischer Art. Selbstbeobachtung führt zur Einübung bestimmter Verhaltensabläufe, und dass man am besten wiederholt, um sich zu merken, wer man ist, leuchtet ein. Also Bild 1, Wiederholung, spiegelbildlich, alles in Butter. Sieht ruhig aus, könnte man fast für formalistisch halten, wenn da nun nicht die anderen Bilder daneben hingen, bei der Hängung in Hamburg auch noch treppchenartig ansteigend.

 

(Rorschachtests haben die Affinität zur Symmetrie nie aufgegeben, obwohl man darin ja Dinge sehen soll und anderes, wie auch sichtbar wurde, mit der Serie von grünen Käfern, auf Papier, die weg von Rorschach, hin zu Gregor Samsa die ganze Misere der Verwandlung des ordentlich Symmetrischen zu einem kreatürlich Problematischen beschreibt.)

 

Das nächste Bild macht erstens klar, dass man so nicht leben kann als Spiegelmännchen und das gar recht langweilig ist, etwas zu wiederholen, was man kennt. Und außerdem wird nun auch noch das Problem der Kunstgeschichte mit hineingeholt, oder besser beiseite gestellt, denn man erkennt, Partien eines Bilderrahmens, der versucht, die expandierende Veranstaltung zu fassen. Es ist möglicherweise Sinnbild der Illusion, der bildenden Kunst, als bildender Künstler, seine auseinander krachende Selbstwahrnehmung doch noch mal in einen ordentlichen passenden Rahmen zu bekommen. Was dann, wenn man daran glaubt, unweigerlich passiert, sieht man auf dem dritten Bild. Nachdem die Bildbestandteile nicht vom Bild fallen können, weil ein Rahmen sie hält, fangen sie an komplett abzudrehen, das Bild ist ganz interessant, besonders in Reihe mit dem ordentlichen, naiven, ersten, inhaltlichen und so ohne Rahmen. Der Kunstgeschichte gilt es demzufolge zu misstrauen, sie hilft nicht, hat aber jede Menge schöne Rahmen bereit, um einzurahmen, was nicht gerahmt werden will. Verursacht also meist das noch größere Chaos. Schön für den Betrachter, schlimm für den, der an Hänge- und Rahmenpatenten seinen Frieden zu finden glaubte.

 

Nun zu den Ösen: Wer seine Bilder zusätzlich zum Rahmenzitat einschweißt, hat offenbar animistische Erfahrungen genug gesammelt, mit belebten Dingen, die unter Kontrolle gebracht werden müssen, um Schlimmeres zu verhindern. In der Plastikfolie baumeln sie (Dinge) an der Wand und werden sich aus der Verschweißung nie befreien können. Wie Haut klebt die Folie an der Collage. Gelocht, mit Ösen versehen ist’s die ganze Zweckmäßigkeit, die schreit nach Verwendung, die prahlt mit Robustheit, aber mit den Ösen nur starrt wie Äuglein durch die Nagelköpfe ragen. Was früher der Rahmen, sind hier die Ösen. Bei Tischlern heißt es wohl manchmal, wenn man ein besonders unglückliches Stück fabrizierte: „Nur noch den Griff zum Wegschmeißen dran schrauben!“ Was das für Brustwarzenpiercings bedeutet, kann ich nicht ermessen. (Bullen haben Ringe in der Nase, um sie diszipliniert von a nach b zu befördern, auch zur Schlachtbank.)

 

Jedenfalls ist das eine seltsame Ausstellung. Abgeschirmt eingeschweißt umso furchtsamer, sinnbildlich schutzbedürftiger, von der Auflösung bedroht sowohl die Bildordnung als auch von Haken aufgespießt, diszipliniert – sozusagen mit Griff zum Wegschmeißen, ein Selbstporträt und ein Bildgeschichten-Porträt. Sehr naiv in seiner Metaphorik, aber zu wirr und inkonsistent um ausschließlich in einer naiven Sinnbildlichkeit zu bleiben. Die Prozesse sind, so zum Stillstand gebracht, eingeklebt in ihre eigene Misere, preisgegeben, psychotisch wie selten sonst merkbar in Ausstellungen.

 

 

Nora Sdun