21. September 2005

Endlich gerechtfertigt

 

Immer mehr, auch nach diesen Gedichten, stelle ich mir einen Houellebecq vor, wünsche ihn mir beinahe, wie er, souverän auf seiner Textmaschine aufsitzend, einmal von der anderen Seite des Zugangs sich dem Leser präsentiert, ein bisschen, warum nicht, wie ein Musikstar, das geht auch ohne Gitarre, ganz lapidar, und plötzlich das Mikrofon nehmend, und in einem ewig so weitergehen könnenden Song mit Steigerung und Abfall und erneutem Crescendo dem umgedrehten Hörer, er kann es kaum glauben, diese großartige Parole zuruft, die immer schon gefehlt hat, die man immer schon irgendwie ergänzt hat, um es überhaupt, bei seiner Lektüre oder im Leben, prall oder nicht, auszuhalten, und die nichts anderes einem zuruft, als dass ich mich gerechtfertigt fühle, ja, je me sens justifié, das ist die Spitze der schwarzen Pyramide, der glänzende Bereich des immer sich drehenden Kreisels, das nickende Spiegelbild, das sich eben immer noch in einem Gegenüber hält, nicht aufgegeben, das passiert in den Texten, stellvertretend, die Staffelläufer des Todes zirkulieren in den Texten, wo man sie (sich) nur zu gut wieder erkennt, aber die schreiben eben DAS auf und die anderen lesen DAS. Wunderbare Absprache, Raffiniertes Doppel, das da so jeder spielt, riesige Taschen, was da so alles reingeht und auch wieder rausfällt, ohne dass man es merkt.

 

Völlig verrückt, und das kann man nur im französischen Original merken, der Typ hat absolut das Zeug zum Klassiker. Wenn man sich das laut vorliest, glaubt man bei der einen oder anderen Strophe, sich im Jahrhundert geirrt zu haben oder plötzlich beispielsweise auf eine Bühne zu schauen, auf der Racine’sche Alexandriner rezitiert werden. Aber was da dann gesagt wird, führt einen natürlich wieder zurück, nach dem blitzschnellen Exkurs in die Zeit und in einen anderen Stil, erscheint dann aber eben tangiert, befruchtet oder auch angeätzt, von einer Nähe, die sich nur noch so im Gedicht lesen lässt. Aber was ist denn diese so genannte Nähe. Was versteckt sich hinter ihren hehren Namen wie Klassizismus, Sprachschönheit, Reimwundermaschine? Die bloße Randexistenz. Kaputte Königinnen, unerträgliche Eifersüchte, unbeschreiblicher Hass, die ganze Leidenschaft, die einen wunderbaren Textkorpus von sich abstreift, um überhaupt noch ein Gegenüber zu besitzen. Denn nichts einfacher, als dass eine blöde Passion sich festsetzte in einem, wozu man wahrlich nichts tun muss, einfach leben, und die dann kleben bleibt, einen völlig aushöhlt, abstumpft mit sich selbst, eine Grad von Abstraktion erreicht, der andere abschrecken muss, weil sie den Punkt nicht sehen, von wo das ausging.

 

So entsteht Kommunikation, die einfache Variante, das kennt jeder, auch wenn er nicht darüber nachdenkt, und es klappt besser, je weniger man darüber nachdenkt, oder es entsteht Kunst und all das, also das, was es vorher so noch nicht gegeben hat oder was jedenfalls als solche gehandelt wird. Houellebecq in allen Sparten, allen Genres, im Roman, im Gedicht, auf der Bühne, er selbst oder die Dramatisierungen seiner Romane, bravo, das hat in so kurzer Zeit schon lange keiner mehr geschafft. Und er schiebt mit. Das macht ihn mir fast noch sympathischer. Ehrlichkeit als Falschheit hoch zwei.

 

Dieter Wenk (12.00)

 

Michel Houellebecq, La Poursuite du Bonheur, Paris 2002 (J’ai lu) ; Suche nach Glück, Reinbek 2003(Rowohlt)